Fortsetzung Moldovan, Minderheitenschutz
In der Gegenüberstellung einiger Definitionen durch internationale Institutionen wie UNO oder Europarat werden die sehr unterschiedlichen Herangehensweisen und Auffassungen von "Minderheit" und dem ihr zustehenden Schutz deutlich. Durch das Herausheben einiger struktureller Merkmale der Definitionen kann die Autorin sehr plastisch die Problematik sowohl des Themas als auch die unterschiedlichen juristischen und politischen Aspekte der Betrachtung herausarbeiten. Prägnant werden die internationalen Rechtsgrundlagen des Minderheitenschutzes chronologisch von einer ersten UN-Konvention im Zusammenhang mit der Verhütung und Bestrafung von Völkermord im Jahr 1948 bis hin zu der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen von 1992 oder der entscheidenden EU-Aufnahme des Themas in den Wertekatalog der EU im Jahre 2009 dargelegt, so dass eine Vorstellung davon entsteht, wie sehr internationale als auch bilaterale Verträge den rumänischen Minderheitenschutz geformt haben. (Im Anhang des Bandes sind die bilateralen Verträge Rumäniens mit den "Mutter"-Staaten ["kin-States"] einiger Minderheiten nach 1990 aufgelistet.)
Die in den vorbereitenden Kapiteln präsentierten wichtigen Ansätze
und Informationen kommen mit dem III. Kapitel konkret im rumänischen Kontext zum Tragen. Es geht zunächst einführend um die von der Verfassung abgedeckten Felder, in denen
juristische Bestimmungen zum Minderheitenschutz eine Rolle spielen, wobei die Autorin darauf hinweist, dass bisher keine Bündelung von Gesetzen und Verfassungsvorgaben zu einem eigenen
Minderheitengesetz geführt hat – ein entsprechendes Vorhaben von 2005 gelangte nie zur Abstimmung im Parlament. Auch
die Klärung, was "nationale Minderheit" sei, ist nicht eindeutig. Für das Wahlgesetz wurde etwa die Legaldefinition "die Ethnie, die in dem Rat nationaler Minderheiten vertreten
ist", benutzt. (128/9) Die Erläuterung, was eine "Ethnie" sei, findet sich hingegen am ehesten im
Leitfaden für die Durchführung der Volkszählung. Der Zirkel schließt sich, wenn der Rat Nationaler Minderheiten (RNM) nur solche Minderheiten aufnimmt, die im Parlament vertreten sind.
Hintergrund dieser Beschränkungen sind Missbrauchsfälle, in denen sich Politiker infolge des allgemein gültigen Prinzips der "Selbstidentifikation" als Vertreter von Minderheiten deklarierten,
ohne dieser wirklich anzugehören.
Eine weitere praktische "Krücke" zur Einteilung der Minderheiten sind die 20 anerkannten Sprachen, die von den 19 im Parlament vertretenen Gruppen gesprochen werden. Problem bleibt, wie eine nicht berücksichtigte oder "neue" Minderheit ihren Status erlangen soll: das Problem der Aromunen und Tschangos, die anerkannt werden möchten, aber nicht im Parlament vertreten sind. Oder die Tataren, die wegen innerer Streitigkeiten 2012-2020 nicht ins Parlament gelangten und damit auch nicht im RNM vertreten waren (132). Oder die Spaltung von Tschechen und Slowaken, die dazu führte, dass die Slowaken wegen ihrer Mehrheit nun auch die Tschechen vertreten – eine eigene tschechische Gruppe fand keine Anerkennung.
Diesen Aspekten schließt die Autorin die Diskussion jener Definitionselemente an, die
bei der Beratung des nicht zustande gekommenen Minderheitengesetzes von 2005 im Parlamentsausschuss zur Sprache kamen. Es sind solche, die in der internationalen Debatte vorherrschen, wie die
Frage, ob Minderheiten die jeweilige Staatsangehörigkeit besitzen müssen, ob immer eine numerische Unterzahl der Minderheit vorliegen muss, wie das Recht auf eigene Identität als Kern des
Minderheitenschutzes verstanden und wie es geschützt wird, wer zu einer Minderheit gehört, die Forderung nach der Stabilität einer Minderheit. Eine wichtige Rolle spielt auch die seit der
Verfassung von 1923 politisch maßgebliche Eigendefinition Rumäniens als einem "einheitlichen und unteilbaren Nationalstaat", der bis in die gegenwärtige Verfassung wirkt (149). Zudem wurde von
dem Ausschuss eine mit der Problematik des Ausschließens belastete Liste der anerkannten Minderheiten erstellt. In diesem Zusammenhang stellt Moldovan auch die Institutionen vor, die in Rumänien mit der Minderheitenproblematik direkt befasst sind: den Rat Nationaler Minderheiten
(Consiliul Minorităților Naționale), das Department für Interethnische Beziehungen (Departamentul pentru Relații interetnice),
die Nationale Agentur für Roma (Agenția Națională pentru
Romi) und den Volksanwalt (Avocatul Poporului), der die Funktion eines Ombudsmannes erfüllt.
Das vorletzte IV. Kapitel geht dann auf die diversen Antidiskriminierungsdekrete und das
Gesetz von 2009 ein, in denen z.T. als Vorbereitung auf den EU-Beitritt im Strafrecht Hassreden, Rassismus, etc. justiziabel wurden. Die Autorin benennt hier die konkreten
Anlässe wie neolegionäre oder antisemitische Betätigungen und weist auch auf Defizite der juristischen Behandlung hin, wie die Ablehnung von Klageerhebungen und das geringe Strafmaß, deren Folge
eine schwache Öffentlichkeit und geringes Interesse für die Problematik sind.
Im rumänischen zivil- und verwaltungsrechtlichen Bereich haben ebenfalls EU-Richtlinien Eingang gefunden, die Diskriminierungen in Institutionen, Arbeitsleben, Schulen u.a. beschreiben und verhindern sollen. Gewissermaßen als Referenzminderheit dient bei diesem Thema nicht zufällig die zahlenmäßig zwar zweitgrößte, aber besonders "vulnerable" Minderheit der Roma. "In der Untersuchung von Diskriminierung nationaler Minderheiten tritt in der Tat besonders hervor, dass Roma am häufigsten und in allen Lebensbereichen darunter leiden. Ihre prekäre soziale und wirtschaftliche Lage macht sie am anfälligsten für Ausgrenzung und Diskriminierung, die sogar extreme Formen von Gewalt sowohl durch Privatpersonen als auch durch die Polizei annehmen." (248) In diesem Bereich finden sich zahlreiche Beispiele von Prozessen und juristischen Beurteilungen diskriminierender Verhaltensweisen, die auf die konkrete Realität hinter den juristischen Diskussionen verweisen.
Das umfangreiche letzte Kapitel geht vom Recht auf Identität der Minderheit und ihrer Bewahrung als Kern des Minderheitenschutzes aus. Damit kommen das Recht auf eigene Sprache und ganz spezifische Bildungsprobleme, Medien- und Religionsfragen in den Blick, die weiter zur sozialen Konkretisierung der nur scheinbar rein juristischen Thematik beitragen. Es geht hier auch um die gleichberechtigte Teilhabe der Minderheiten am öffentlichen Leben, so dass in diesem Zusammenhang auch wieder die besondere Problematik der Parlamentswahl für die Minderheiten detailliert dargestellt wird. Erhellend sind die Überlegungen Moldovans hinsichtlich der Beobachtung, weshalb die Ungarn angemessen im Parlament vertreten sind, die Roma hingegen nur mit 1 Abgeordneten.
Für den Nicht-Juristen bietet die dennoch gut lesbare Arbeit eine Fülle von Details und
Hinweisen auf spezifische Schwierigkeiten des rumänischen Minderheitenschutzes. Sie schreitet von den allgemeinen Vorgaben der von
Rumänien ratifizierten internationalen Übereinkünfte über die von Rumänien erlassenen Gesetze hin zu konkreten Fällen und der juridischen Praxis in Rumänien. Es zeigt sich, dass die
erfreuliche parlamentarische Repräsentanz der Minderheiten auf einem umfangreichen Vorbau juristischer und politischer Entscheidungen basiert, die Folgen für den sozialen Alltag vieler Menschen
haben. Das Buch von Anișoara Moldovan macht über den juristischen Zugang hinaus für die spezifischen Ursachen und Auswirkungen sensibel, aber auch für die anhaltende Aufgabe rumänischer Politik
und Justiz, im Detail eine allgemeingültige Lösung zwischen Gleichheitsgebot und Diskriminierungsverbot zu formulieren, die die Akzeptanz aller findet.
Anisoara Moldovan: Minderheitenschutz in Rumänien. Eine Bestandsaufnahme gesetzlicher Normen unter Berücksichtigung der konkreten Lage nationaler Minderheiten. Logos Verlag Berlin 2020, 436 Seiten, ISBN 978-3-8325-5169-8