Fortsetzung Dobrudschadeutsche
Sallanz umreißt zunächst knapp und präzise die kulturelle Prägung der Dobrudscha
von vorhistorischen Zeiten über die römische Antike mit der bekannten Exilzeit des Klassikers Ovidiu in Tomi (Constanța) bis zur Abfolge der Bevölkerung der Dobrudscha im Laufe der Jahrhunderte
mit Kumanen, Petschenegen, Tataren (Goldene Horde), Bulgaren, Walachen, die den Transitcharakter dieser Landschaft zeigt. Im 15. Jahrhundert unter osmanische Herrschaft gelangt blieb das Gemenge
von Völkern, Sprachen, Religionen, Kulturen erhalten. Weitere Einwanderer waren russische Altgläubige (Lipowaner), Armenier, Griechen,
u.a. Der Autor verweist eingangs auf die besondere "orientalische", islamische Prägung, die die Dobrudscha durch die Einordnung als Sandschak gemeinsam mit dem Budschak im südlichen
Bessarabien in die Provinz Rumelien erhielt. Nach der Annektion Bessarabiens durch das Zarenreich ergab eine Verwaltungsneuordnung der Provinz Özi die Zugehörigkeit des Donaudeltas und Dobrudscha
zu dieser Provinz. Die orientalische Färbung blieb trotz zunehmendem Einfluss des expandierenden russischen Reichs nach "Südrussland" bis in das 19. Jahrhundert bemerkbar und ist bis heute an der
Präsenz von Moscheen in vielen Orten ablesbar.
Sallanz unterteilt seine Darstellung in einen historischen Teil der "Schlüsselmomente" der Geschichte der Dobrudscher und einen weiteren zur Darstellung ihrer "Lebenswelten". Im historischen Teil hebt der Autor die Einwanderungsphasen, den Ersten Weltkrieg und die "Umsiedlung" während des Zweiten Weltkriegs hervor. Die ungeplante Einwanderung brachte sehr unterschiedliche deutschsprachige Siedler in die Dobrudscha: Einige, die ursprünglich aus Süddeutschland kamen, nannten sich selbst "Schwaben", andere von der Ostsee nannten sich "Kaschuben". Ein weiterer Differenzierungsgrund waren die Konfessionen: Protestanten und Katholiken stellten bei den Deutschen fast hälftig die Glaubensgemeinschaften. Später breiteten sich auch evangelikale Gruppen unter ihnen aus. Der Krimkrieg von 1853-1856 brachte weitere Einwanderer aus "Südrussland" in die osmanische Dobrudscha. Die Aufhebung der Befreiung vom Wehrdienst in Bessarabien und der heutigen südlichen Ukraine (Cherson) veranlasste 1873 bis 1883 eine zweite Phase der Migration in die Dobrudscha, was insbesondere in der mittleren waldlosen Landschaft zu Dorfgründungen (Kodschalak) führte. Mit dem russisch-osmanischen Krieg von 1878, der dem Königreich Rumänien (Regat) die Unabhängigkeit brachte, kam die Dobrudscha an Rumänien. Viele Tataren verließen daraufhin die Dobrudscha, mit der Folge, dass ihre Dorfviertel von Zuwanderern übernommen wurden. Auch die dritte Einwanderungsphase 1890-92 hatte mit der Entwicklung in Russland zu tun, wo der intensivierte Nationalismus die Minderheiten beschränkte und zur Ausreise veranlasste. Um 1900 gab es dann noch eine kleinere Auswanderung in die damals bulgarische Süddobrudscha (Ali Anife). Die Spannung zwischen Bulgarien und Rumänien wie auch der Sonderstatus des Territoriums im rumänischen Verwaltungssystem boten den Hintergrund der ökonomischen und sozialen Entwicklung der deutschen Minderheit. Nach dem Balkankrieg 1913 kam der südliche Teil an Rumänien, das aber 1916 nach Eintritt in den Ersten Weltkrieg das gesamte Gebiet unter Besatzung der Mittelmächte Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien, Türkei sehen musste. Die fast 2 Jahre dauernde Besatzung unter Kriegseinwirkungen zeigte auch organsatorische Folgen für die Infrastruktur, wie z.B. die erste Zeitungsgründung. Es war vorher zu vielfachen Internierungen von Dobrudschadeutschen durch die rumänischen Behörden gekommen, wobei oft deren Söhne in der rumänischen Armee gegen die Truppen von Mackensen kämpften.
Nach dem "Sieg" am Verhandlungstisch bei den Friedensverhandlungen in Paris wurden die Dobrudschaner stärker als bisher mit der modernen Welt vertraut, Schienenwege, Motorisierung, Tourismus, Kontakte mit Siebenbürger Sachsen als Urlauber brachten eine auch in der Infrastruktur bemerkbare Modernisierung auf den Weg. Zugleich gerieten sie in die politischen Verwerfungen des Niedergangs der rumänischen Politik bis zum Pakt mit Nazi-Deutschland. "Im Gegensatz zu den Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben verfügten die Dobrudschadeutschen bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts über keinerlei politische, kulturelle und wirtschaftliche Organsiationen, die ihre Interessen in der Politik und vor den Behörden hätten vertreten können." (69) Erst 1924 kam es zur Gründung eines "Verbands rumänischer Staatsbürger deutscher Abstammung in der Dobrudscha", der in den Zeiten der wirtschaftlichen Krisen und der forcierten Rumänisierung die Probleme der Dobrudschaner artikulierte. Wichtiges Thema des Verbands stellten die deutschsprachigen Schulen dar.
Durch die zwar seltenen, aber einflussreichen Kontakte mit den anderen Minderheiten in Rumänien gerieten auch die Dobrudschadeutsche in das Fahrwasser der siebenbürgischen "Erneuerungsbewegung", die der Ausbreitung nazistischen Denkens Vorschub leistete. Ohne intensiveren Kontakt zu Deutschland versuchten sich die Dobrudschadeutschen aus den Auseinandersetzungen heraus zu halten, sahen aber Ende der 1930er Jahre keine andere Alternative, als die von den Nazis nach dem Hitler-Stalin-Pakt mit großenVersprechungen propagierte "Umsiedlung ins Reich" zu unterstützen. 16 000 Dobrudschadeutsche fuhren mit Schiffen von Cernavoda auf der Donau nach Semlin in Jugoslawien und dann weiter in Lager in Deutschland. Für Hofbesitzer war die Ansidelung im "Warthegau" in Polen oder in Böhmen vorgesehen, was im Krieg nicht für alle realisiert wurde, einige blieben bis Kriegsende in den Übergangslagern. Zudem wurden die Männer als Soldaten oder in die Waffen-SS eingezogen. Nach dem Krieg ließen sich viele Dobrudschaner in der Gegend um Heilbronn nieder. Nur ganz wenige kehrten zurück oder hatten sich der "Umsiedlung" entzogen.
Bildet diese konzise Darstellung der wichtigsten historischen Wegmarken die erste
Hälfte von Sallanz' Buch, so gilt die zweite Hälfte den Lebenswelten der deutschen Minderheit in der Dobrudscha. Diese war zunächst von der bäuerlichen Erwerbsstruktur geprägt. Es gab einige
Gutsbesitzer mit vielen Hektar Land, andere hatten genügend zur Selbstversorgung, wieder andere mussten als Lohnarbeiter auf Höfen arbeiten. Allerdings verschlechterte sich im Laufe der
Generationen für viele die Lage, da die Realteilung des Erbes in den kinderreichen Familien zu einer Zersplitterung des Bodens und immer kleineren Einheiten führte. 1940 waren 40% landlose
Bauern, die als Tagelöhner arbeiten mussten. Wenige produzierten für einen Markt, die meisten lediglich für das eigene Auskommen. Weiterhin wurde das Leben der Dobrudschaner u.a. von der
konfessionellen Unterscheidung geprägt; sie zeigte ein nur leichtes Übergewicht der ProtestantInnen (55%). Dabei lebten die Konfessionen aber in getrennten Dorfteilen, wie generell die ethnischen
Minderheiten in eigenen Dörfern oder Dorfteilen lebten. Die Kirchen hatten auch Anteil am Unterrichtswesen der Deutschen, auf das besondere Aufmerksamkeit gelegt wurde. An den Festtagen des
Jahreskalenders kann Sallanz die Aktivität der Gemeinden und den Dorfzusammenhalt aufzeigen, wie dies auch die familiären Feste belegen, soweit sie auch die Nachbarn und Verwandten miteinbezogen.
Plastisch wird das Bild der Dörfer auch durch die besonderen Beziehungen zu den anderen Ethnien und Religionen in der bis nach dem Ersten Weltkrieg noch stark diversifizierten
Dorbrudscha. Hervorzuheben sind die knappen Darstellungen der "Nachbarn" der Deutschen - also der weiteren ethnischen Gruppen in der
heutigen Dobrudscha. Auch die Einbindung in die rumänische Staatlichkeit wird mehrfach gestreift.
Eine ganz eigene Sprache sprechen die zahlreichen farbigen und s/w-Abbildungen des Bandes. Sie führen weit über eine bloße Illustration des Textes hinaus. Ihre genaue Betrachtung erzählt noch einmal auf ganz eigene Weise von der Realität der Dobrudschaner. So zeigt ein Bild das Gutshaus der begüterten Familie Leyer in Sofular: ein fast burgartiges Gebäude mit Mauer umgeben und einem Turm mit Zinnen – Zeichen, dass es einzelne Familien zu auffälligem Wohlstand brachten. Die Postkarten einzelner Dörfer stellen die Sauberkeit und Gepflegtheit der Häuser und Vorgärten heraus; Familien und Arbeitskolonnen beim Maisbrechen oder Dreschen, die "casa mare" als Stolz der HausbesitzerIn mit aufgetuchten Kissen auf dem selten benutzten Sofa u.a.m. So werden in den Fotografien Details der Lebenswelt anschaulich, die ein auch durch die relativ kurze Ansiedlungsphase nur gering entwickeltes kulturelles Leben als Spiegel der Anschauung ersetzen. Sie erhöhen den Wert dieser kompakten und anschaulichen Darstellung einer Minderheit, von deren Kultur und Geschichte noch zu wenig bekannt ist.
Josef Sallanz: Dobrudscha. Deutsche Siedler zwischen Donau und Schwarzem Meer. Potsdam: Deutsches Kulturforum Östliches Europa 2020 (Potsdamer Bibliothek Östliches Europa Geschichte), 262 Seiten, zahlr. Abb., ISBN 978-3-936168-73-0