Benjamin Fondane
Von der Physiognomie des XX. Jahrhunderts
Foto: Man Ray (1926)
Auf Benjamin Wechsler aufmerksam zu machen, heisst in Deutschland auch
80 Jahre nach seiner Ermordung in Auschwitz weitgehend einen Unbekannten vorzustellen. Während in seinem Geburtsland Rumänien allmählich die Bedeutung des in Iași geborenen Dichters, Filmemachers, Philosophen – in der Literatur bedeutendster Sohn dieser
Kulturmetropole – anerkannt wird, findet vor allem in Frankreich seit längerem eine kontinuierliche Beschäftigung mit dem auf Französisch hervorgetretenen
Autor statt – einem Autor und Denker, der in seinem breiten Schaffen eine Vielzahl von Antrieben, Impulsen, Überzeugungen vereinigte, denen er in seinem eigensinnigen Leben seit der Jugend
nachging.
Es begann mit Gedichten zur jüdischen Umwelt, in die er 1898
hineingeboren wurde. Wechsler war eine Art literarisches Wunderkind, geboren in
eine jüdische Familie, die mütterlicherseits berühmte Gelehrte der Familie Schwarzfeld hervorgebracht hatte. Mit 14 erschienen bereits erste Verse, mit 16
schrieb er in der von A. Steuerman-Rodion, einem Freund der Familie, herausgegebenen Zeitschrift Versuri și proză; der
Jugendliche übersetzte aus den europäischen Sprachen und war bald ständiger Gast der zahlreichen Zeitschriften in der lebhaften intellektuellen jüdischen
Atmosphäre von Iași - nicht nur mit Lyrik, sondern auch Prosa, Feuilletons, Berichten, Essays vor allem aus der jüdischen Welt, über Palästina, Bolschewismus, Zionismus, Jiddischismus
(gesammelt in B. Fundoianu: Iudaism și elenism). Aus den anfangs zahlreichen Pseudonymen Wechslers kristallisiert sich "Fundoianu" heraus, benannt nach einem kleinen Landgut der begüterten
Familie bei Herța. 1919 interviewt Fundoianu Arnold Margoline, den Vizeaußenminister der kurzlebigen unabhängigen Ukraine Petljuras über die Lage der Juden dort. 1916 erscheint in
Hatikvah ein Zyklus mit biblischen Themen. Mit 19 Jahren schreibt er die Gedichtfolge Herța, in der die
Stimmungen des ländlichen Shtetls mit seiner Bevölkerung aus Rumänen und Juden, Bauern und Kleinbürgern lesbar werden:
Mit gelben Schuhn sind Gänse um den Zaun
geprescht;
du hörst jetzt, wie der Regen die Petroleumlampe
löscht,
wie in der Bronzeglocke die Zeit vom Blatte frißt
–
du hörst das lange Schweigen, das grau der Herbst schon
ist,
und auch die Kutsche kommend aus Richtung
Dorohoi.
Die Büffelherden steigen aus der Ebne ödem
Brei,
und wie sie brüllen, die Köpfe gewandt als ob sie saugen
–
der Marktflecken, voll Angst, brüllt mit blutigroten
Augen.
(Übers.: Franz Hodjak)
Fundoianu studiert nach dem Krieg Jura in Bukarest, pflegt die
bereits in Iași geknüpften Freundschaften mit der aufkommenden Avantgarde, publiziert im symbolistischen Sburătorul literar, der
Zeitschrift des Kritikers Eugen Lovinescu, aber auch in Marcel Iancus Contimporanul, dem
Blatt der Moderne. Einen Teil
seiner zahlreichen Kritiken und Essays publiziert der
ungeduldige und scharf urteilende Dichter 1922
in einem nicht zufällig den
Titel Imagini și cărți din Franța (1922) tragenden Band, der
bereits auf die
starke Beeinflussung durch
französische Vorbilder und die
Orientierung nach Westen hinweist.
Fundoianus Freunde sind die Avantgardisten Ion Vinea, Stefan Roll,
Sașa Pană, Brunea-Fox, Ilarie Voronca. Die wegen ihrer
Seltenheit heute legendären Zeitschriften Integral, 75HP,
Unu, halten die erregendsten und radikalsten neuen Formen und Ideen bereit, an denen Fundoianu Anteil nimmt: "Exzess – die einzige Möglichkeit
neu zu sein".
Außerdem eröffnet der Avantgardist mit Freunden und der Schwester
Lina und deren Mann Armand Pascal ein avantgardistisches Theater, Insula. Das Theaterexperiment scheitert bald an mangelndem Geld und
Publikumsinteresse und Fundoianu sieht als einziges Fenster aus dem grassierenden Antisemitismus an der Universität die Migration nach Paris. Er war sich bewusst, dass „die Fremde die erste Nachwelt bedeutet.“ Nicht wenige seiner Freunde wie Victor Brauner, Claude Sernet (Mihai Cosma), Ilarie Voronca, sollten diese Option wählen.
Fundoianu kommt zunächst bei dem Bruder des Schriftstellers Remy Gourmont als Bibliothekar unter, arbeitet später für eine Versicherungsfirma, aber schreibt weiter vor allem auch für die
rumänischen Avantgardezeitschriften. 1930 erscheint sein noch in Rumänien geschriebener Gedichtband Priveliști (Landschaften) – einer der markantesten jener Epoche mit zwischen 1917 und 1923 geschriebenen Gedichten, darunter der Zyklus Herța. Brâncuși
hat die Priveliști mit einem Porträt Fondanes illustriert.
Mittlerweile hatte in Paris der Dichter eine Anstellung bei der
Filmgesellschaft Paramount gefunden, was ihn einerseits eine neue Kunstform – ciné-poèmes – erfinden
ließ, aber auch in eigenen Regiearbeiten resultierte, die ihn nach Argentinien führten. Fondane, wie nun sein Name lautete – verheiratet mit Geneviève Tissier (Trauzeugen waren
Brâncuși und der exilierte russische Philosoph Leo Shestov) – nahm 1933 an der Verfilmung des Romans Rapt von Jean
Giono mit dem deutschen Star Dita Parlo teil. Vorher hatte er auf Einladung der Schriftstellerin Victoria Ocampo bereits in Argentinien Filme der französischen Avantgarde
vorgestellt, 1936 verfilmt er dann in Südamerika Tararira, einen satirischen Stoff aus dem Milieu der populären Musik und
Tangos, von dem allerdings nur wenige Sequenzen erhalten sind.
In den 1930er Jahren nimmt Fondane intensiv an den Debatten um die
politische Ausrichtung der Avantgarde teil. Er kritisiert bestimmte Aspekte des Surrealismus, der sich an konkrete Parteiforderungen gebunden hatte und dadurch viele AnhängerInnen verliert.
Zugleich formuliert Fondane Positionen gegenüber der Politisierung der SchriftstellerInnen, wie sie auf dem Internationalen Schriftstellerkongress 1935 in Paris gefordert wird – sein
Kongressbeitrag Der Schriftsteller vor der
Revolution wird allerdings verhindert und erst postum veröffentlicht. Fondane bewegt sich dissidentisch am Rande der Debatten und publiziert vor allem
in den Cahiers du Sud, aber auch in zahlreichen, oft kurzlebigen Zeitschriften. In Buchform erscheinen der vielbeachtete polemische Essay
über Rimbaud, le voyou (1933), die Aufsatzsammlung La conscience malheureuse (1936) und der Essay Faux traité d'estéthique (1938) über die Rolle der Dichtung in der Moderne. Dazu erscheinen in kleinen Ausgaben Gedichtzyklen wie Ulysse (1933), Titanic (1937); L' Exode wird nur in Fragmenten in klandestinen Zeitschriften
der Résistance ediert, bevor es
Fondanes Freund Claude Sernet 1965 postum publiziert.
Unterlegt sind seine engagierten und kritischen Darlegungen mit
Reflexionen der existenzialistischen Philosophie von Leo Shestov. Exiliert aus der Sowjetunion hat dieser Denker durch seine Schriften einen wachsenden Einfluss in Europa
ausgeübt, die von Kierkegaard über Dostojevskij bis zu Husserl und Heidegger die prekäre Existenz des modernen Menschen nach dem postulierten Ende der
Religion thematisieren. Aufsätze widmet Fondane Heidegger und Husserl, Baudelaire und Shestov. Fondanes engagierter Skeptizismus lässt sich an Gedichten
wie Ulysse, Titanic, Exodus, überprüfen, die
zugleich die Bedrohung jüdischer Existenz aufgreifen. Walter Benjamin schreibt anerkennend über den naturalisierten Franzosen mit rumänischer Herkunft, Fondane hat einen weiten
Bekanntenkreis innerhalb der französischen Geisteswelt und den Exilcommunities.
Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs nahm der inzwischen
naturalisierte Franzose aus Iași an der drôle de guerre teil,
wird gefangengenommen, kommt wieder frei. Möglicherweise floh er danach in den noch unbesetzten Süden Frankreichs oder hielt sich länger in Paris auf. Fondane publizierte und schrieb weiter,
besaß Kontakte zur Résistance und lernte auch Emil
Cioran kennen. Ein später Text ist dem rumänischen Philosophen Ștefan Lupașco gewidmet. Beide und auch Jean Paulhan, Herausgeber der Revue Française, setzen sich für Fondane ein, als dieser im März 1944 aufgrund einer Denunziation in Paris verhaftet und in das Deportationslager Drancy
gebracht wird, wo bereits seine Schwester Lina interniert ist. Es gelingt den Freunden, für Fondane die Deportation zu verhindern, aber der Philosoph verweigert diese Rettung, als absehbar
wird, dass Lina nach Auschwitz deportiert wird. Beide werden im Konvoi 75 am 30. Mai 1944 nach Auschwitz verbracht und ermordet. Ein Überlebender bezeugt, dass der Dichter
eine unerschütterliche Haltung bewahrt habe und am 2. oder 3. Oktober 1944 in der Gaskammer starb.
Zahlreiche seiner Texte wurden postum publiziert, in Frankreich
widmen sich die Société d'étude Benjamin Fondane und die Association Benjamin Fondane der
Erforschung und Erinnerung an der außerordentlichen, im Land der TäterInnen auch 80 Jahre nach seinem Tod immer noch unbekannten geistigen Gestalt Benjamin Fondanes, die der jüdischen Welt der
rumänischen Moldau entsprang.
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Auf Deutsch erschienen:
Rimbaud, der Strolch und die poetische
Erfahrung.
Hg. von Michel Carrassou. Übertragen von Michaela Meißner.
Matthes & Seitz Verlag, München 1991
Falscher Traktat über Ästhetik. Ein Versuch über die Krise der
Wirklichkeit.
Aus dem Französischen von Peter Geble und Monika Petzenhauser. Mit
einem Nachwort v. Peter Geble. Edition Plasma 1991
Auf Rumänisch:
B. Fundoianu (Fondane): Conștiința
nefericită. Eseuri.
Traducere de Andreea Vlădescu. Humanitas, Bukarest
1993.
B. Fundoianu: Iudaism și elenism. Editura Hasefer, Bukarest 1999.
Benjamin Fondane: paysages (poèmes 1917-1923) / priveliști (poeme 1917-1923). Traduit du romains par Odile Serre / Traducere în franceză de Odile Serre (Gemini. colecția bilingvă de
poezie) Editura Paralela 45, Pitești 1999.
Benjamin Fondane: Ființa și cunoașterea. Încercarea asupra lui Lupașco. (colecția transpuneri: 3) Prezentat de Michael Finkenthal. Traducere, note și postfața: Vasile Sporici. Editura Ștefan Lupașcu, Iași
2000.
Olivier Salazar-Ferrer: Benjamin Fondane. Traducere din limba franceză de Elena Tudorie. Junimea, Iași 2005.
Benjamin Fundoianu: Poezia antumă. (Seria Fundoianu-Fondane) Opere I. Ediție critică de Paul Daniel, George Zarafu, Mircea Martin. Editura Art, Bukarest
2012.
Benjamin Fondane: Baudelaire și experiența abisului. Traducere din limba franceză de Ion Pop şi Ioan Pop-Curşeu. (Seria Fundoianu-Fondane). Opere XIV Ediţie critică de Ion Pop, Ioan
Pop-Curşeu şi Mircea Martin. Editura Art, Bukarest 2013
Ausführliche Bibliografien auf den Websites der beiden o.g.
Gesellschaften.