Fortsetzung Spariosu...
All diese möglichen Ursachen genauer zu analysieren, sei bisher selten geleistet worden. Und auf der Basis der Beiträge kann Spariosu bereits in der Einleitung auf die Komplexität aller Bedingungen und historischen Realitäten von Konflikt und Harmonie hinweisen. Dabei verfolgt das Projekt aber eine klare Vorstellung davon, wie wissenschaftlich präzise Aussagen über die Wahrscheinlichkeit getroffen werden können.
Im ersten Teil des Bandes geht es um theoretische Erörterungen der Herangehensweise an kulturelle Fragestellungen. Der Historiker Victor Neumann verweist in einem Überblicksbeitrag auf der Basis einer von ihm herausgegebenen Istoria Banatului sowohl auf die Besonderheit des Banats als historischer Vielvölkerlandschaft ( "As a consequence, its identity does not equate with a cursory interpretation of demographical statistics, or with the cultural evolution of a single religious community, of a single nationality or nation.") (45) sowie auf die Rolle von Kunst und Architektur in der Übernahme "europäischer", westlicher Kulturstandards. Das Banat sei seit Mittelalter Vielvölkerland gewesen, erst unter den Ungarn 1867-1914 habe das Schulsystem nicht multikulturell genug funktioniert. Durchaus Bewunderung habe es in Rumänien genossen, für die Zukunft sei Dezentralisierung und die Orientierung an Europa zentrales Anliegen.
Herausgeber Spariosu beschreibt ausführlich neuere Entwicklungen zwischen multikulturellem und interkulturellem Denken in Bezug auf den Begriff der "Identität" in Südosteuropa, der ja aktuell in den internationalen geisteswissenschaftlichen Diskussionen eine wichtige Rolle einnimmt. Er bezieht sich dabei auf einen Sammelband der slowakischen Philologen Vajdová und Gáfrik (2010), denen er einen kritisierten neo-marxistischen Ansatz zuschreibt. In den Beiträgen des Bandes seien einschlägige Themen wie Identität, "Otherness", Peripherie, Hegemonie, Exil, Globalisierung, Ethnizität diskutiert, die Spariosu knapp referiert, um seine Kritik an politischer Korrektheit, der Post-Moderne, Gender-Ansätzen etc. ausführlich darzulegen. Seinen Essay abschließend plädiert Spariosu für das Beispiel des rumänischen Gelehrten Paul Iorgovic Brâncoveanu (1764-1808) aus Vârădia (Caraș Severin), der mehrsprachig und "plurikulturell" die Aufklärung in seinen Sprachstudien verbreitet habe – ohne zu Dogmatismus zuzuneigen, sondern eher "openmindedness" zu propagieren.
Vasile Boari von der Universität Cluj/Klausenburg/Koloszvár hingegen sieht den Multikulturalismus unter Verweis auf Äußerungen von Kanzlerin Angela Merkel und Premierminister David Cameron (2010) am Ende und erwartet eine wirkliche Renovatio Europas nur in der Wiederzuwendung zu den (jüdisch-)christlichen Wurzeln. Ein Dorn im Auge sind dem Politologen der Verzicht auf das christliche Bekenntnis in der Präambel der europäischen Verträge sowie die "Dechristianisierung" und Säkularisierung Europas seit Nietzsches Formel "Gott ist tot". Die "Krise Europas" sieht Boari nur durch "a new spiritual awakening, with missionaries, evangelists and other carriers of the Biblical message" (100) einer Lösung zuzuführen. Die Basis dieser Wunschvorstellung in der Realität ist in dem Aufsatz aber kaum auszumachen.
Daniela Cervinschi diskutiert noch einmal grundsätzlich und an historischen Konzepten aus den USA und Kanada orientiert die Entwicklung der Begriffe Multikulturalität, Assimilation, Akulturation, Integration u. ä., denen sie nach der Jahrtausendwende eine kritische Debatte um die Überwindung von Multikulturalität durch Inter-Kulturalität zuschreibt. Sie nimmt einige der Kritikpunkte an "Multi-Kulti" auf und illustriert sie durch deren eher schematische und nicht durchgreifende Verwendung im Falle der Republik Moldova. Dort seien eher interkulturelle Konzepte, die zum Miteinander von Ethnien und Minderheiten, zu kritischer Reflexion aufrufen, am Platze als die formale multikulturelle Versorgung von Minderheiten mit Rechten, die in der Realität nicht gelebt werden.
Mit diesen theoretischen Auseinandersetzungen ist das Feld geebnet für Fallbeispiele aus Siebenbürgen und dem Banat. Die AutorInnen kreisen dabei um konkrete Strukturen und Ereignisse, in denen die Leitfragen nach dem Verhältnis der Minderheiten untereinander und zur Mehrheitsbevölkerung symptomatisch aufscheinen. Lorand Madly reißt die Problematik unter dem Blickwinkel des Nationalismus und seiner neoabsolutistischen Durchsetzung nach der Revolution von 1848/9 in Siebenbürgen und Ungarn an. Nicht zu übersehen ist dabei die Tendenz, die vorgegebenen theoretischen Prämissen zu bestätigen. So, wenn Mircea Măran auf die vor allem auch in der orthodoxen Konfession begründete Konvivialität der Serben und Rumänen im Banat hinweist, die zwar während der 1848er Revolution Spannungen aufwies, die sich insbesondere in der Konkurrenz der beiden orthodoxen Kirchen fortsetzte, aber generell das weitgehend gedeihliche und friedliche Zusammenleben nicht tangierten. Beispiele hierfür sind die zahlreichen gemischten Ehen und die "doppelte Identität", die sich in der Namensgebung manifestierte. Măran hebt vor allem die politische Kooperation beider Minderheiten hervor, die bis zum 1. Weltkrieg reichte. Die orthodoxe Religion bot allerdings auch intern Gelegenheit für Konfliktstoff, wie der Umgang der beiden Konfessionen Griechisch-Katholisch und Orthodox miteinander im 19. Jahrhundert belegt. Diese seit dem 17. Jahrhundert existierenden Spannungen wurden nach Meinung von Ion Cârja durch die Trennung der siebenbürgischen orthodoxen Kirche von der Serbischen (1863 Errichtung der Metropolie von Sibiu durch Andrei Șaguna) und die päpstliche Entscheidung, die Griechisch-katholischen Gemeinden von der ungarischen katholischen Kirche in Esztergom zu trennen und ihr den Status einer eigenen Diözese zu verleihen, gemildert. Die Stärkung der jeweiligen Eigenidentität habe zur Beruhigung geführt. Zudem schränkte der Staat die Möglichkeit des Konfessionswechsels ein, so dass dieser nicht mehr als Druckmittel innerhalb der Diözesen verwendet werden konnte, da die Konvertiten nun selbst für eine neue Infrastruktur (Kirchenbau) sorgen mussten. Wiewohl hier noch weitere Forschung nötig sei, kommt Cârja zu dem Ergebnis, dass "Conflicts with the highest degree of frequency were based on disagreements between the priest and the parishioners on material grounds, with the faithful threatening to abandon their conession and 'switch' churches. It must be emphasized that the issues were hardly of a spiritual or doctrinal nature." (167)
Näher an das Thema des Bandes führen die Aufsätze, die sich mit der Minderheitenfrage in Siebenbürgen und im Banat vor und vor allem nach dem Ersten Weltkrieg beschäftigen. Die Zeitung Românul, Sprachrohr der Rumänischen Nationalpartei in Siebenbürgen, reflektierte unter Chefredakteur Vasile Goldiș die Orientierungssuche der Rumänen Siebenbürgens in der Habsburgermonarchie. Sie fand die Merkmale des Rumänischen in der ethnischen Abgrenzung vor allem gegenüber den Ungarn, der Herkunft von den Römern, der rumänischen Sprache und der orthodoxen Kirche. Wie Flavius Ghender im signifikanten Vergleich der Jahre 1911 und 1918 feststellt, bildeten 1911 noch die praktischen Fragen der rumänischsprachigen Schulen, des Wahlrechts und der politischen Repräsentation den Kern der Forderungen an den überwölbenden Heimatstaat, der immer noch in der Doppelmonarchie erkannt wurde. Nach dem Krieg und mit Wilsons Proklamierung der nationalen Minderheitenrechte wurde hingegen die nationale Thematik überwältigend. Hierzu formulierte Iuliu Maniu 1918 die widersprüchlichen Optionen der Siebenbürger Rumänen: "We do not want to turn from oppressed into oppressors, but we cannot accept the tearing apart of the Romanian territory, either." (194) Der aufgekommene Nationalismus als politischer Parameter berührte auch die Beziehung zu den Ungarn und Juden und Serben. Auch gegen letztere konnten sehr schnell Ressentiments entstehen, als die Serben nach der Niederlage der Doppelmonarchie das Banat besetzten, was u.a. die Rumänen zum Eingreifen und der Einverleibung des Banat veranlasste. Ghender betont abschließend, dass die oft geäußerte offene, pluralistische Vision nur okkasionalistisch wirksam werde, in Situationen der sozialen Spannung schnell in ihr Gegenteil umschlage: "The exklusivist, ethnocentric conception about the nation and the ideal of an ethnically homogenous state, also present in the postwar Românul, ended up generating largely intolerant attitudes toward ethnic minority groups in Great Romania." (204)
Wie dieses Groß-Rumänien entstand und welche Konsequenzen für die Minderheiten sich daraus ergaben, nehmen die beiden Aufsätze von Corina-Mihaela Beleaua und Lucian Nastasă näher in den Blick. Nach Klärung der historischen Umstände/Kontexte der vor dem Krieg aufgeworfenen "Siebenbürgen-Frage" (Magyarisierung, rum. Reaktion darauf) stellt Beleau die interessante Frage "What Did Other Countries Think about Trianon" und referiert knapp die Perspektiven von Österreich, Ungarn, Deutschland, Rumänien, Frankreich, Großbritannien, den USA und Italiens. Damit wird die ewige Konfrontation von Ungarn und Rumänien kontextualisiert und zugleich auf das Entstehen von "Trianon" fokussiert. Als einen neuen "Turn" in der Geschichtsschreibung Siebenbürgens fordert ebenso Lucian Nastasă die Abwendung von der "Krankheit der 'Nationalisierung'" (240) und der Betrachtung der Vielfalt der Region in nationalen Kategorien hin zu einer universalistisch-interkulturellen Betrachtung von Zivilisationen. Ebenso verweist er auf die unterschiedlichen politischen Bewegungen innerhalb der ungarischen Bevölkerung der Zwischenkriegszeit hin, die ebenfalls auf die vielfach vereinfacht rezipierte, in Wahrheit aber komplexe Diversität der Situation hinwiesen. Das Banat hatte dabei oft einen besseren Stand wegen seiner spezifischen Mulitkulturalität, die Cornel Ungureanu am Beispiel einiger polyglotter linker Autoren wie Zoltan Franyo oder Robert Reiter ins Gedächtnis ruft. Auf den dritten Buchteil der Verarbeitung digitalisierter Datenmengen bereitet der interessante Beitrag von Ionuț Apahideanu vor, der anhand des den Ansatz des Bandes aufnehmenden Gebrauchs von statistischen Daten die Wahrscheinlichkeit von Konflikten an den 3 Provinzen Banat, Crișana (Kreisch) und Siebenbürgen am Merkmal der Religionsbekenntnisse und ethnischen Verteilung durchspielt. An den hierzu erstellten Formeln auf der Basis der Forschungen von Taylor und Hudson (1972) und Esteban und Ray (1994) lassen sich Koeffizienten erstellen, die die Fragmentation und Polarisierung von Gesellschaften auch mathematisch erfassen. Obwohl diese Methode zu eigenen Ergebnissen führt, bleiben ihre Daten und Voraussetzungen im historischen Geschehen verankert und dort auch darstellbar. Das interessante Ergebnis lautet auch mathematisch, dass die Gegensätze im Banat weniger zu direkten Konflikten verleiteten als in Siebenbürgen.
Einleitend zum letzten Kapitel des Bandes, das der Computerwissenschaft und der Digitalisierung in den Geisteswissenschaften gewidmet ist, geht Herausgeber Spariosu noch einmal auf die unterschiedlichen Herangehensweisen von KI für die Forschung ein. Unter Beschreibung unterschiedlicher Ansätze kommt Spariosu zu der für die Zukunft sicher relevanten Frage, ob GeisteswissenschaftlerInnen zukünftig Computerprogramme entwerfen können müssen. Konkrete Beispiele für den Einsatz von Big Data und Digitalisierung bieten die darauf folgenden Beiträge von Adela Fofiu, Vlad Jecan/ Radu Meza und Dan Caragea, in denen es etwa um die Wortsuche in einem Korpus von journalistischen Texten oder die Herausarbeitung und Darstellung von Zitierrezeptionen oder abschließend um die automatische Textanalyse von Zeitschriften geht. Da die entsprechenden Visualisierungen bereits 10 Jahre alt sind, wirken die Versuche des mapping angesichts des Tempos der Visualisierungssoftwareentwicklung entsprechend überholt. Generell stellt sich auch hier die Frage, welches der qualitative Vorsprung dieser Verfahren gegenüber der Hermeneutik herkömmlicher Textanalysen, historiographischer Methoden und soziologischer Untersuchungen sind.
So bietet der zahlreiche Themen und Theorien bearbeitende, anregende und diskussionswürdige Sammelband nicht nur Darstellungen einzelner Themenkomplexe im Rahmen der Ausgangsfrage nach Konflikt und Harmonie, sondern auch kontroverse methodologische Überlegungen zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit Daten aus den westlichen Regionen Rumäniens. Es wäre zu wünschen, wenn die seit der Tagung in Rumänien, die das Projekt vorstellte (und bereits einen rumänischsprachigen Band als Ergebnis vorlegte [Armonie şi conflict intercultural în Banat și Transilvania. Perspective cultural-istorice 1650-1950, coord. Mihai Spăriosu, Vasile Boari, Iași, Institutul European, 2014]), in Aussicht gestellte Fortsetzung weiter zur Beschäftigung mit Banat, Siebenbürgen und Crișana und den theoretischen Prämissen der Untersuchung von Konflikt und Harmonie in diesen heute rumänischen Gebieten animierte.
Mihai I. Spariosu (Ed.): Intercultural Conflict and Harmony in the Central European Borderlands. The Cases of Banat and Transylvania 1849-1939. Vandenhoeck&Ruprecht unipress Göttingen 2017, 383 Seiten, 35 Tabellen, ISBN 978-3-8471-0692-0