Fortsetzung Milata, Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu
Daher ist es erfreulich, dass eine ausführliche Problematisierung der strukturellen Organisation der minderheitlichen Bevölkerung während der 1920er und 1930er Jahre diese Frage ausreichend beantwortet und so auch die mentale Physiognomie dieser Minderheiten in den Zeiten der allmählichen Erosion der staatlichen Ordnung und der Diktatur von Carol II. bis hin zur Militärdiktatur von General Ion Antonescu und seiner Partnerschaft mit Hitlerdeutschland erkennen lässt. Zum einen sind es seit der Gründung der aus wirtschaftlich-sozialen Gründen entstandenen "Selbsthilfe" die Vorgänge in der Spitze der Minderheit, die die Hinwendung zur nationalsozialistischen Politik Deutschlands motivieren (wobei es durchaus eine konservative Opposition gegen diese Entwicklung gab). Zum anderen entsteht eine Vorstellung davon, was die Masse der "Rumäniendeutschen" von den Vorgängen "im Reich" erfuhr und wie sie diese einschätzte. Desweiteren war die Politik der rumänischen Verwaltungen und ihre Gestaltung des Minderheitenrechts für die Perspektive der deutschen Minderheiten auf das Geschehen im und außerhalb des Landes wichtig.
Als sich die nationalsozialistische Richtung der "Selbsthilfe" und der Jungen letztlich durchsetzte und schließlich 1940 der 27-jährige Andreas Schmidt die Führung der nun als "Volksgruppe" gleichgeschalteten DViR (Deutsche Volksgruppe in Rumänien) übernahm, hatte der auf viele Sachsen noch "intern" wirkende Kampf um die Lenkung der Minderheit längst wesentliche Impulse von den (oft konkurrierenden) Instanzen nationalsozialistischer Politik in Berlin erhalten. Milata hebt zwei Schwerpunkte hervor: Das Spiel der Minderheitenführung auf der rumänischen und hitlerdeutschen Klaviatur mit ihren entsprechenden Resonanzen und die Weigerung nach Ausbruch des Krieges, sich von der rumänischen Armee rekrutieren zu lassen. Schmidt stützte sich vor allem auf die SS Himmlers und schaltete die deutsche Minderheit in Rumänien zu einer Einheit gleich, die an den traditionellen Institutionen Evangelische Kirche, Schule, Patriziertum vorbei die Minderheit zu einem Element der nationalsozialistischen Expansionsstrategie umformte. Dies rief in rumänischen Ministerien und bei Antonescu zwar mitunter Widerstand hervor, aber durch den Ausbruch des Krieges und die Allianz mit Hitler akzeptierte letztlich das Antonescu-Regime die enge Anlehnung der deutschen Minderheit an Hitlerdeutschland, wenn auch einzelne Vorhaben der Deutschen verboten blieben.
Eine der Folgen dieser Entwicklung bildete bereits um 1939 das Interesse der SS an dem Menschenreservoir, das für die Kriegsplanung beim Allierten am Karpatenbogen greifbar wurde. Hatten sich vorher nur einzelne Siebenbürger um Aufnahme in die SS beworben, so organisierte Schmidt – mit der Tochter des SS-Obergruppenführers Berger verlobt – nach der Rückkehr aus Deutschland die "1000-Mann-Aktion", bei der heimlich Rumäniendeutsche aus allen Siedlungsgebieten in die SS rekrutiert wurden. Dies "stellt die erste Rekrutierung von Ausländern für militärische Organisationen NS-Deutschlands dar." (76) Hier zeigte sich bereits, wie Nazideutsche, Rumäniendeutsche und Rumänen mit- und teilweise gegeneinander arbeiteten. Ergebnis war, dass bis Juni 1940 1000 Freiwillige nach Deutschland reisten – ohne klare Vorstellung, was sie bei der SS erwartete. Hauptmotivation bildete offensichtlich die versprochene bessere Versorgung der Angehörigen durch die SS sowie die Umgehung der Militärzeit in der ungeliebten rumänischen Armee. Hintergrund war die generelle Unzufriedenheit in den deutschen Minderheiten mit der ökonomischen und minderheitenpolitischen Lage in den krisenhaften Anfängen von "Groß-Rumänien" während der 1920er und 1930er Jahre. Entscheidend war dann die Beeinflussung durch die nationalsozialistische Propaganda mit ihren Versprechungen und Manipulationen. Milata zeigt facettenreich die Entscheidungswege und die Minderheitenmilieus, in denen die "Freiwilligkeit" vorbereitet wurde: Von der "Deutschen Jugend" über "Einsatzstaffel", "Deutsche Mannschaft", "Frauenwerk", "Heimat-Dienst", "Deutsche Arbeiterschaft" waren die Angehörigen der Minderheiten mit den Bestimmungen der Nationalsozialisten konfrontiert, begleitet von einer manipulierenden Propaganda in Schule und Presse (Südostdeutsche Tageszeitung, Schaffendes Volk, Südostdeutsche Landpost, Volk im Osten).
Der Erfolg der 1000-Mann-Aktion qualifizierte Schmidt in den Augen der Nazis für die Führung der Rumäniendeutschen, so dass er im September 1940 zum "Volksgruppenführer" ernannt wurde, um bis zum Zusammenbruch im August 1944 dieses Amt inne zu haben. Neben dessen Schwiegervater Berger spielte in Berlin auch der SS-Scherge Heydrich eine Rolle bei der Ernennung. Dies geschah vier Wochen nach dem Sturz Carol II. und der Machtübernahme Antonescus. Zwei Monate später trat eine 10000 Mann umfassende deutsche "Militärmission" im Land auf, bevor das Januarpogrom während des Aufstands der Legion die Verfolgung der Juden und im Juni 1941 der Überfall auf die Sowjetunion die Involvierung in den Holocaust initiierte. Durch den geringen Widerstand bei der 1000-Mann-Aktion ermuntert, nahm sich die SS größere Ziele bei den Rumänendeutschen vor. Schon im September 1940 begannen erneut illegale Musterungen und Rekrutierungen, die bis 1943 anhielten, um die durch die Verluste des Krieges bedingte Auffüllung der Waffen-SS mit Soldaten zu bewerkstelligen. Hier entstand eine deutliche Konkurrenz zur Wehrmacht. Einzelne Zitate zeigen die Rücksichtslosigkeit und Menschenverachtung der Nazis und Militärs deutlich. Milata bezieht auch die Geschehnisse in Nordsiebenbürgen, das 1941 an Ungarn gefallen war, und im jugoslawischen Banat sowie den anderen Siedlungsgebieten in seine Darstellung ein und behandelt ebenso die unterschiedlich motivierten Haltungen der Opposition und einzelne Akte des Widerstands gegen die DViR und die Rekrutierungen. Mehrere Tausend Männer wurden in diesen "diskreten Rekrutierungen" während der "verbotenen Freiwilligkeit" von nazideutscher Seite in den Krieg eingezogen – ein Vorgehen, das von den Rumänen zunehmend weniger toleriert wurde. Es gab sogar Deserteure aus der rumänischen Armee, die in die Waffen-SS aufgenommen wurden. Diese von dem Sachsen Arthur Phleps kommandierte Einheit war insbesondere an den Greueltaten in Jugoslawien beteiligt.
Als der Vormarsch in der Sowjetunion sich
verlangsamte und mit der Schlacht um Stalingrad sich eine Wende anbahnte, gab es Verhandlungen mit Antonescu, offiziell eine größere Aushebung von Rumänendeutschen in die Waffen-SS vorzunehmen.
Grund war nach der Niederlage an der Wolga eine größere Zahl von rumänendeutschen Versprengten aus der rumänischen Armee, die neu untergebracht werden sollten. Hierzu wurde in umfassenden
Verhandlungen unter Zeitdruck mit der rumänischen Seite (und direkt zwischen Hitler und Antonescu) die Massenaushebung von 63000 Rumänendeutschen beschlossen und durchgeführt. Die zweite Hälfte
von Milatas minuziösen Darlegungen widmet sich diesem Vorgang. Es werden die bürokratischen, juristischen, organisatorischen Vorgehensweisen, die beteiligten Stellen, die Ausbildung, der Einsatz
der Rekrutierten und auch die mögliche Motivation der "Freiwilligen" ausführlich auf der Basis der erreichbaren Quellen erörtert. Hier kommen auch die Division "Prinz Eugen", die von dem
ranghöchsten Siebenbürger Sachsen, General Phleps befehligt wurde, die Aushebung von KZ-Bewachern, die Enttäuschungen der Ausgehobenen in der SS, die Verlustzahlen zur Sprache. Ebenso behandelt
Milata kritisch einige der von der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen nach dem Krieg verbreiteten Mythen über die Teilnahme am Krieg und weist etwa darauf hin, dass in Ungarn lange die
Donauschwaben Rekrutierungen in die SS verhinderten.
So ergibt die akribische Vorgehensweise auf der Basis ausgiebiger Quellenkunde und die Offenheit für unterschiedliche Herangehens- und Beurteilungsweisen eine breite Perspektive auf die rumänendeutsche Teilnahme am Zweiten Weltkrieg in der Waffen-SS. Es wird deutlich, dass dies eines der entscheidenden Ereignisse in der Geschichte dieser Minderheiten war. Da, wie Milata selbst erklärt, noch längst nicht alle Fragen an dieses historische Geschehen befriedigend beantwortet werden können, wird es auch weiter wissenschaftliche Forschung veranlassen– auf Milatas hervorragende Studie, die durch praktische Kurzbiographien, ein Namenregister, Literaturverzeichnis und einen Bericht über die Quellenlage ergänzt ist, wird dabei nicht verzichtet werden können.
Paul Milata: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu. Rumäniendeutsche in der Waffen-SS. 3. Auflage. Schiller Verlag Hermannstadt / Sibiu 2019, 478 Seiten, 14 Abb., zahlr. Tabellen, ISBN 9783946954491
(die ersten beiden Aufl. erschienen im Böhlau Verlag)
Eine rumänische Übersetzung ist ebenfalls im Schiller Verlag unter dem Titel Între Hitler, Stalin și Antonescu. Germanii din România în Waffen-SS erschienen.