FUSSBALL IN RUMÄNIEN ...
Beim Treffen mit Radu und seinem Vater ging es sowohl um Vergangenes, als auch um Aktuelles. Aktuell war der Stolz auf die rumänische U21-Nationalmannschaft. Sie war bei der Europameisterschaft 2019 erst im Halbfinale durch ein Gegentor in der 90. Minute an Deutschland geschei-tert, nachdem sie zur Halbzeit noch geführt hatte. Beim Turnier 2021 schied sie ohne Abb.: FC Farul Constanţa/©Volkmar Hoffmann
Niederlage wegen des schlechteren Torverhältnisses bereits nach der Gruppenphase aus. Inzwischen spielen aus diesen beiden hochtalentierten Mannschaften nur noch wenige Spieler bei rumänischen Vereinen.
Das Interesse an den heimischen professionellen Ligen ist gering, abgesehen von den Bukarester Vereinen FCSB, Dinamo oder Rapid, vielleicht noch Cluj und Craiova. Bei der überwiegenden Anzahl der Erstligaspiele liegen die Zuschauerzahlen bei wenigen Tausend, die Spiele der zweiten Liga werden meist nur von ein paar Hundert gesehen, wobei manche Vereine sogar keinen Eintritt verlangen. FCSB hieß früher Steaua, doch Name, Logo und Vereinsfarben der Mannschaft der rumänischen Streitkräfte dürfen nicht mehr benutzt werden. Inzwischen gibt es wieder ein Steaua, in der zweiten Liga, aber das ist wieder eine andere Geschichte.
In den Stadien tendiert das Merchandising, der Komfort und die Verpflegung gegen Null. Bei einem Erstligaspiel erlebte ich eine Gruppe junger deutscher Touristen, deren anfängliche Begeisterung beim Beteiligen an den Fangesängen von Căpitanul Voluntari und seinen Männern sichtlich abgeebbt war. Es war ein Flutlichtspiel, und sie hatten in der Halbzeitpause außerhalb des Stadions in den unbeleuchteten Straßen einer Wohnsiedlung versucht, einen Kiosk zu finden, um sich mit Bier einzudecken. Der Sprache nicht mächtig, waren für sie die Ortsangaben anderer Zuschauer nicht hilfreich genug gewesen.
Der Käp’n ist eine Institution beim FC Voluntari, einem nordöstlich an Bukarest grenzenden Erstligastandort. Zu jedem Heimspiel reisen er und seine Männer in einem geschmückten Kleinbus an, mit Megaphon, Fahnen und einer Trommel. Der Căpitanul trägt eine Kapitänsmütze, korrespondierend zum Anker im Logo des FC Voluntari. Warum, wo es doch weit und breit keine Schifffahrt gibt? Ein Deal mit einem langjährigen Bürgermeister, der zur See gefahren war und für kräftige finanzielle Unterstützung des Vereins gesorgt hatte. You know how it is in Romania…
Beim Spitzenspiel zwischen FCSB und CFR Cluj in der Arena Naţională fand ich etwas abseits vom Stadioneingang einen Merchandisingcontainer, bestückt mit einigen Trikots und Schals. Den Kopf auf ihre Arme gelegt schlief die Verkäuferin auf dem Tresen. Apropos Frauen: An der bukarester Peripherie hatte ich mir abends ein Sechzehntelfinale-Frauenpokalspiel angesehen, unter einem dermaßen funzeligem Flutlicht, unter dem eine Männermannschaft sich geweigert hätte zu trainieren. Etwa zwei Dutzend lautstarker, junger Frauen sahen dieses Spiel, und natürlich erzählte ich wieder einmal begeistert davon in meinem rumänischen Bekanntenkreis. Die erstaunte Reaktion der meisten, sowohl Männer als auch Frauen? There is women football in Romania? Dazu passt dann, dass die Entwicklung des Frauenfußballs in Rumänien sowohl auf Vereins-, als auch auf Verbandsebene vor allem auf Vorgaben durch UEFA und EU zurückgeht.
Bei unserem Treffen erzählte der Vater von Radu aus den '80-gern, als Steaua sogar einmal den Europapokal der Landesmeister gewann. Es gab noch kein Flutlicht, die Spiele mussten also tagsüber stattfinden, während das rumänische Fernsehen ausschließlich am Abend sendete. Es gab kaum Liveübertragungen von Spielen, Fußballinteressierte schauten bulgarisches TV. Dort wurde immerhin pro Woche ein Spitzenspiel aus der bulgarischen Liga gezeigt.
Rumänische Fußballfans sind es nach wie vor gewohnt, ihre Sehnsucht nach dem runden Leder bei ausländischen Teams zu stillen. Die Möglichkeit, internationale Spiele live zu sehen hat einen hohen Stellenwert, selbst wenn keine rumänischen Mannschaften beteiligt sind. Auch in diesem Jahr sind bei den derzeit laufenden Qualifikationen zu sämtlichen drei UEFA - Wettbewerben die beteiligten rumänischen Teams bereits aus-geschieden.
Als Beweis dafür, dass die EM-Spiele in Rumänien selbst ohne eigene Beteiligung auf Begeisterung und Zuspruch stoßen würden, gilt das Endspiel der Europaleague in Bukarest 2012: Das Stadion war sofort ausverkauft, obwohl zwei spanische Teams gegeneinander spielten, deren Fans zahlenmäßig eine weitaus kleinere Rolle spielten als das rumänische Publikum.
Professionellen Fußball gibt es natürlich nicht nur in Bukarest, sondern auch in der Provinz. Wie sieht der aus, gibt es auch dort Geschichten wie die von Daco-Getica? Ich war 13 Jahre alt, zum ersten Mal in Rumänien, zum ersten Mal in Constanţa am Schwarzen Meer, der Heimat meines Vaters, der hier als Deutscher Mitte der '20-er Jahre geboren worden war. Ich war fußballbegeistert und kehrte nach der Reise mit einer Reliquie zurück, die mich bis heute begleitet: ein kleiner Wimpel von Farul ( = Leuchtturm) Constanţa, einem Verein, der 1920 gegründet worden war, seitdem zwischen erster und zweiter Liga mäandert, 2016 bankrott ging und von seinen Fans wiederbelebt wurde.
In der Saison 2020/2021 hatte Farul wiedermal den Aufstieg in die erste Liga nicht geschafft, in Constanţa hatte ihm seit ein paar Jahren – außer bei den Fans – ein noch junger Verein, Viitorul, den Rang abgelaufen. Gegründet in einem Vorort von Constanţa als Team der Fußballakademie von Gheorghe Hagi und 2017 immerhin rumänischer Meister geworden. (Einschub: Die Fußballschule von Viitorul ist übrigens der Hintergrund für den Erfolg des rumänischen Fußballnachwuchses in 2019 und 2021 – ein Großteil der Spieler wurde in dieser Akademie ausgebildet.) Zu Beginn der laufenden Saison dann plötzlich die Überraschung beim Googeln: Farul spielt in der 1.Liga, Viitorul scheint verschwunden und in der 2.Liga ist ein neuer Verein aufgetaucht – Unirea Constanţa. Nachdem Radu aus Bukarest auf meine Nachfrage letztlich wenig überraschend I didn‘t know that geantwortet hatte, denn auch in der Fußballwelt existieren in Rumänien die Hemisphären Bukarest/Nicht-Bukarest, kontaktiere ich Viorel aus Constanţa. Seine Antwort beginnt mit "Constanţas football became very complicated", seine detaillierten Informationen klangen zusammengefasst etwa so:
Gheorghe Hagi hatte sich einigermaßen mit seiner fußballerischen Herkunft Farul – der Verein hatte immerhin sein Stadion nach ihm benannt – versöhnt und die Idee einer Fusion von Farul mit Viitorul ins Spiel gebracht. Mit der Lizenz von Viitorul konnte nun in der ersten Liga angetreten werden, die Spieler von Viitorul wurden übernommen, der Verein heißt Farul und Viitorul gibt’s nicht mehr.
Das teilweise-immer-noch Feindbild Gheorghe Hagi ist jetzt (wieder) der große Mann, die Fans von Farul sind begeistert bis vorsichtig bis skeptisch. Immerhin hieß es bis quasi vor 5 Minuten În Constanţa doar Farul contează – "in Constanţa zählt nur Farul". Die Zweitligalizenz von Farul erhielt das neugegründete Unirea Constanţa, ebenso die nicht erstligareifen Spieler des alten Farul. Der Besitzer von Unirea will von vorneherein nicht am derzeitigen Standort, dem Vorort Techirghiol bleiben, sondern lieber das 1962 gegründete und nach wilden Jahren 2015 pleitegegangene Callatis Mangalia wieder ins Leben rufen, im kommenden Jahr dann mit der Lizenz von Unirea...
Während meiner Rumänienreisen, zuletzt in 2019, als ich für dreieinhalb Monate in Bukarest lebte, habe ich immer versucht, möglichst viele Fußballspiele zu sehen. Einen Großteil der Spiele habe ich bereits bei Halbzeit verlassen – ich fand sie langweilig. Gefühlt sah ich Massen von Ewigen Talenten, viel guten Spielaufbau – aber meistens fehlten … Kraft? …. Disziplin? Keine Ahnung. Irgendwann schienen die Spieler unterwegs die Lust verloren zu haben, sie konnten oder wollten nicht mehr. Ich hatte mir oft während der Spiele Favoriten ausgesucht, Spieler die mir hängengeblieben waren, und deren Weg ich in den kommenden Jahren verfolgte. Alle waren oder wurden Nationalspieler, alle schienen hochtalentiert, alle wurden quer durch Europa bis nach China ausgeliehen, zurückgeholt, verkauft. Und alle hatten letztlich das Versprechen ihres Talents nicht eingelöst.
Viorel, what is the reason? Und Viorel antwortet mit der in diesem Fall einleuchtendsten aller Gestern – er zieht unschlüssig die Schultern hoch. Warum ist Fußball in Rumänien so, wie er ist? Sicher spielen Vereinsbesitzer eine große Rolle – ein Profiverein als präsentierbares Spielzeug, als Möglichkeit zur Geldwäsche, als was auch immer. Und natürlich hängt damit zusammen, dass es kaum Interesse an der Entwicklung einer Vereins- und Fankultur gibt, an Stadien, in die man (oder Frau) gerne geht, mit entsprechender Ausstattung und Infrastruktur. Und das heikle Thema Mentalität? Gibt es so einen Faktor?
Nach seinen ersten Spielen für Fortuna Düsseldorf wurde Dragoş Nedelcu, ein junger Nationalspieler, der aus der Akademie von Gheorghe Hagi stammend über Viitorul Constanţa und FCSB Bucureşti in Deutschland gelandet ist, gefragt, was denn der Unterschied sei, zwischen erster rumänischer Liga und der zweiten in Deutschland. Die Intensität und die Physis, meinte er. Ich werde noch einige Zeit brauchen, bis ich auf diesem Niveau bin. Nach den Trainingseinheiten bin ich jedes Mal völlig kaputt.
Was könnte das Fazit eines Textes über professionellen Fußball in Rumänien sein? Wäre nicht eher ein Vergleich angebracht, zum Beispiel zwischen
Profifußball in Rumänien und Deutschland? Oder Rumänien im Vergleich mit einem anderen osteuropäischen Land? Ich gebe den Text einem polnischen Freund, der selbst Fußball
spielt.
Ich kenn das. Ich kenn das alles, das ist alles genauso
wie in Polen. Es gibt aber einen Unterschied, einen großen: In Rumänien scheint das alles eine Nummer extremer zu sein.
Der rumänische Fußball – unterm Strich: complicated. Nicht nur in
Constanţa.
Volkmar Hoffmann, geboren 1953, unternimmt seit 1967 Reisen nach Südosteuropa, vorwiegend nach Rumänien, wo sein Vater geboren wurde, der das Land, obwohl er Deutscher war, sein Leben lang als seine Heimat bezeichnete. Bereits als Jugendlicher war er in rumänischen und bulgarischen Fußballstadien zu Gast. Im Herbst 2019 verbrachte er im Rahmen eines Praktikums beim Goethe Institut dreieinhalb Monate in Bukarest. In dieser Zeit entwickelte er gemeinsam mit einer Grafikerin ein Postkartenprojekt mit 10 Fotografien aus Bukarester Erst- und Zweitligastadien.
Die Ansichtskarten inkl. Text können unter ssp-mp@posteo.de bestellt werden.