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Pandemisches Vergessen und Erinnern
Obwohl erst 5 Jahre zurückliegend schien die Covid-Pandemie einer tiefen gesellschaftlichen Amnesie anheimgefallen zu sein – aus der sie wie üblich und konventionell nur die mediale Manie der "Jahrestage" herauszuholen in der Lage war. Pünktlich nach 5 Jahren im März (warum nicht nach 3 oder 4 einhalb Jahren?) taucht das Wort und die ein oder andere Diskussion wieder in den Medien auf – und reißt unvermittelt die einzigartige Erfahrung dieser Monate und Jahre in kleinen Splittern in das Nachdenken des zerstreuten Publikums. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Umgang und den Folgen der globalen Krankheit wird andeutungsweise sichtbar und zugleich ist man/frau erstaunt, wie selten doch bisher aus dem brodelnden literarischen Magma des Literaturbetriebs diese Thematik an die kühleren Oberflächen der gesellschaftlichen Reflexion aufgestiegen ist.
Dass die Impfnovelle des aus Arad gebürtigen Arztes und Schriftstellers Peter Rosenthal eines der raren Beispiele einer literarisch kunstvollen und zugleich historisch äußerst präzisen kritischen Erinnerung und Bewältigung eigener Erfahrungen abgibt, liegt nicht zuletzt auch an der besonderen Position der Hauptfigur im Geschehen der Novelle: es ist ein dem Autor wohl selbst gut entsprechender Impfarzt (eine "Person, die mir weniger ähnelt, als ich ihr" 89), der durch Köln zu den Orten seines Einsatzes radelnd die besondere Atmosphäre wahrnimmt, die Maßnahmen und das Verhalten sortiert und kritisch räsonniert. Aus dieser Position des praktizierenden (e)migrantischen Arztes, der in jahrzehntelanger Praxis in eher weniger glänzender städtischer Umgebung reichlich Erfahrungen mit den Umständen und Folgen medizinischer Arbeit gesammelt hat, ergibt sich eine zugleich nüchterne und dennoch der Außergewöhnlichkeit der Situation adäquate lakonische bis emotionale Sicht. Sie reicht von dem besonderen Einsatz der digitalen Technik (Impf-App, Staff Cloud) über die Namen der Vakzine und Virusstämme (Astra Zeneca, Biontech, B1617) bis zu den mitunter recht skurrilen Begegnungen mit zu Impfenden, denen – wie Rosenthal überzeugend konstatiert – die Angst oft das größere Problem war als die reale Gefahr des Virus. Literarisch herausragend ist Rosenthals Auffangen der unterschiedlichen Stimmungen und ihrer Umschwünge je nachdem wie die Zahlen und Kurven der Statistiken sich hier oder in anderen Ländern bewegten. Wer erinnerte sich nicht an "Delta Variante, R-Wert, Doppelmutanten". Der wie in Watte gefasste Alltag im Lockdown, die Angst vor Kontakten, die plötzliche Stille in den Städten, die ungewöhnlichen Wege der Nahrungsbesorgung – die knappe, aber immens reichhaltige Novelle leuchtet in viele längst verdrängte Winkel jener Zeit und arbeitet heraus, wie die Umstände der Pandemie auf besondere Weise ein Schlaglicht auf eine sich selbst kaum ansichtig werdende Gesellschaft warfen. Es spricht eine tiefe Fähigkeit zum Verstehen und zugleich zum empathischen Beurteilen menschlicher und institutioneller Handlungen in diesen Reflexionen über den Umgang mit einer bedrohlichen Gefahr, die Rosenthals Impfnovelle zu einem zentralen und lange gültig bleibenden Bild der so schnell verdrängten Pandemie werden lassen. Das Buch der Stunde.
Peter Rosenthal: Impfnovelle.
Köln: parasitenpresse
2., verbesserte Auflage 2024
74 Seiten
Kandidaturen
für die
rumänische
Präsidentenwahl
Für die rumänischen Präsidentenwahl am 4. Mai 2025 hat die Wahlbehörde BEC (Birou Electoral Central) bisher 8 KandidatInnen zugelassen. Am 15. März haben in letzter Stunde noch 2 weitere KandidatInnen ihre Teilnahme angemeldet, über deren Zulassung noch nicht entschieden wurde.
Zu den bisher akzeptierten Kandidaturen gehören:
John-Ion Banu-Muscel (unabhängig)
George-Nicolai Simion AUR
Marcela-Lavinia Șandru PUSL (Partidul Umanist Social Liberal)
Cristian-Vasile Terheș PNCR (Partidul Național Conservator Român)
Elena-Valerica Lasconi USR (Uniunea Salvați România)
Victor-Viorel Ponta (unabhängig)
George-Crin Laureniu Antonescu (Wahlallianz România Înainte aus der Regierungskoalition PNL, PSD, UDMR)
Nicușor-Daniel Dan (unabhängig)
Gegen die Zulassung u.a. von Ponta und Simion liegen Verfassungsklagen vor. Am Sonntagabend, 16.3.2025, meldete die Nachrichtenplattform adevarul.ro, dass das Verfassungsgericht die Klagen zurückgewiesen hat und damit beide Kandidaten zugelassen sind.
Abgelehnt wurden neben einer Reihe von EinzelkandidatInnen, die meist nicht die notwendigen 200 000 Unterschriften zur Unterstützung der Kandidatur aufbrachten, auch 2 Personen, denen die notwendige Integrität für das Amt abgesprochen wird: Călin Georgescu und Diana Iovanovic-Șoșoacă (SOS). Bereits zur Kandidatur Șoșoacăs zu der annullierten Wahl 2024 stellte ein Urteil des Verfassungsgericht "bezüglich dieser Kandidatin" fest, dass hinsichtlich ihrer Haltungen, ihres Verhaltens, ihrer Stellungnahmen", diese "gegen die konstitutionellen Prinzipien und Werte sind". Auch das BEC sah sich veranlasst, dieser Beurteilung zu folgen .
Ähnlich beruht die Zurückweisung der Kandidatur Georgescus auf dem Urteil des Verfassungsgerichts zur Annullierung der Wahl vom Oktober 2024: Durch das Nichtrespektieren der Wahlgesetze habe der Kandidat die Pflicht zur Verteidigung der Demokratie verletzt, die sich auf korrekte Wahlen stützt und deren Fehlen die verfassungsmäßige Grundordnung verändere. Georgescu zeige mithin nicht die Voraussetzungen, um sich zur Wahl zu stellen und das Amt des Präsidenten auszuüben. Nach der Entscheidung gab es in Bukarest gewalttätige Proteste vor der Wahlbehörde, mehrere Gendarmen wurden verletzt. Aus dem Umfeld von Elon Musk wurde die Entscheidung massiv kritisiert.
Zu den späten Kandidaturen gehört auch die von Anamaria Gavrilă, die mit der Georgescu-Unterstützergruppe POT (Partidul Oamenilor Tineri, Partei junger Menschen) im Oktober überraschend ins Parlament einzog. Sie will gemeinsam mit AUR-Chef Simion im Tandem kandidieren; beide wollen je nach Ergebnis zugunsten des/der andere/n im zweiten Wahlgang zurücktreten und betonten ihre Unterstützung für Georgescu.
UPDATE
Mittlerweile hat das BEC 3 weitere Kandidaten zur Präsidentenwahl 2025 zugelassen. Zugleich hat die POT-Kandidatin Gavrilă ihre Kandidatur zurückgezogen, so dass jetzt abschließend 11 KandidatInnen zur Wahl stehen.
Silviu Predoiu (Partidul Liga Acțiunii Naționale)
Petru Daniel Funeriu (unabhängig)
Sebastian-Constantin Popescu (Partidul Noua Românie).
Putschverdacht gegen paramilitärische rechtsextreme Gruppierung
Seit dem Schock des Wahldesasters um den rechtsradikalen "souveränistischen" Kandidaten Călin Georgescu und seine Hinterleute, tun rumänische Behörden einiges, um Aktivitäten der paramilitärischen und rechtsradikalen Strukturen in Rumänien aufzudecken. Nach der entsprechendes Aufsehen erregenden vorübergehenden Festnahme und Verhörung des früheren Kandidaten (ob er für die Wiederholung der Wahl antreten wird, ist noch offen) hat die DIICOT (Direcția de Investigare a Infracțiunilor de Criminalitate Organizată și Terorism) am 6. März ein paramilitärisches Comandament "Vlad Țepeș" ausgehoben, das Kontakte zu russischen Stellen und Absichten zu einem Staatsstreich haben soll. Mehrere Personen wurden einvernommen, darunter auch der 101 Jahre alte General Radu Theodoru, der zu den Mitbegründern der rechtsextremen Partei România Mare gehörte und als Chef des Generalstabs der Organisation im Zentrum der Verschwörung stehen soll. Theodoru gilt als antisemitischer Nationalist, der zudem auch Stalin- und Putin-Anhänger und seit Jahren glühender Anhänger Georgescus sei. Zu den Absichten des auf seiner Internetseite aggressiv gegenüber dem bestehenden politischen System auftretenden Kommandos gehörte, die Hymne und Flagge Rumäniens zu ändern und die Zugehörigkeit zu NATO und EU zu beenden.
Rumänien - arm und reich
Ein Rumänienbuch mit vielen Details
Jedes Rumänien-Buch fügt den zahlreichen möglichen Perspektiven auf das Land
eine neue hinzu. Auch das vorliegende aus dem Hermannstädter Schiller Verlag lässt sich zwar zunächst als Ansammlung von vielen einzelnen Fakten und Details lesen und hat doch ein eigenes Muster,
das u.a. auch durch seine Entstehungszeit bedingt ist.
Zunächst ist der Eindruck einer umfassenden Bedienung der traditionellen Zugangsweisen einer Landeskunde vorherrschend. Es beginnt mit den geologischen und naturräumlichen Beschreibungen der unterschiedlichen Landesteile, der Natur und kulturellen Gestaltung der Landschaften. In solchen Beschreibungen verbergen sich auch über die Fakten hinaus reichende Merkmale, die zur Physiognomie Rumäniens, zum Bild bis hin zum Klischee beitragen wie die Schlammvulkane, das Schilf des Donaudeltas, die Bären der Karpaten, die siebenbürgischen Wehrkirchen. Schon im umfangreichen 2. Kapitel, wo es um die ländlichen Regionen und die Städte geht, geraten die touristisch verwertbaren Merkwürdigkeiten in den Blickpunkt, die UNESCO-Stätten, diverse Ausflugsziele und Sehenswürdigkeiten in Stadt und Land, Besonderheiten der Regionen. Da die Autorin selbst viele der genannten und beschriebenen Orte und Gegenden bereist hat (und lange in Rumänien gelebt hat), stellt sich hin und wieder der Eindruck eines Reiseführers ein. Das ist alles sehr informativ und zeigt viele Facetten des Landes auf. Den sozialen Zuständen widmen sich die beiden nächsten Kapitel, es geht einerseits um eher Atmosphärisches, Sitten und Verhaltensweisen, andererseits auch um Gesundheitsversorgung, Armut, Abwanderung. Letzterer ist ein eigenes Kapitel gewidmet, wobei auch die Voraussetzungen der Sicht der Beobachtenden auf die RumänInnen hinterfragt wird. Dabei lassen sich eigene Einstellungen nicht übersehen.
Insbesondere die folgenden Kapitel zur politischen Sphäre bringen konzentrierte Wiederaufrufungen der Geschichte, (etwas vage) eingeteilt nach Regionen, da sich das heutige Rumänien aus vielen historisch anders zugehörigen Territorien zusammensetzt. Ausführlich kommen die jüngsten Entwicklungen bis zum Ende der Covid-Pandemie zur Sprache. Diese Ausführungen wecken angesichts des aktuellen Endes der Präsidentschaft von Klaus Johannis und der Pandemie fast schon historisches Interesse, da die Diskussionen um die Antikorruptionsstaatsanwältin Laura Kövesi, um Liviu Dragnea u.a. heute fast schon vergessen sind. Reizvoll ist, dass manche der Vorgänge unterschiedlich im Gedächtnis geblieben sind, so dass die Perspektive der Autorin zur Diskussion animiert. Zudem fällt auf, dass häufig skandinavische Zeitungen zu rumänischen Themen zitiert werden - eine ungewöhnliche, aber auch bereichernde Perspektive.
Zu diesen aktuellen Problemen gehören auch die Wirtschaft und die Minderheitenpolitik, insbesondere gegenüber den Roma und Ungarn/Szeklern. Hier hat die Autorin durch ihre Siebenbürgen-Reisen zahlreiche Details und Impressionen zu bieten, die das Thema von den großen Debatten ablösen. Hingegen bezieht sich die Darstellung der jüdischen Geschichte vor allem auf die nördliche Bukowina und das Kulturmetropole Czernowitz, die ja längst nicht mehr zu Rumänien gehören. Im Falle des wiederholten Verweises auf die Deportation von Eli Wiesel nach Auschwitz wäre zum besseren Verständnis die Abtretung Nordsiebenbürgens während des Zweiten Weltkriegs an Ungarn zu erwähnen.
Die Wirtschaft wird im Rahmen der Antonomien von Wachstum und Ökologie, ausländischen Investitionen und inländischer Entwicklung diskutiert. Hierbei kommen die zahlreichen Disparitäten zur Sprache, die das Land kennzeichnen: Investitionen und Abwanderung, industrielle vs. Biolandwirtschaft, Industrialisierung vs. Landschaftsschutz, Touristikindustrie vs. Landschaftserhaltung. Unzweifelhaft hat auch das erwachende Umweltbewusstsein in diese Debatten eingegriffen. Die Autorin (über?)betont mehrfach die reichen Bodenschätze Rumäniens, von denen kaum großer Einfluss auf die Ökonomie festzustellen ist. Ebenso fällt das kritische Auge der Autorin auf die Bildungsmisere, um mit wieder eher touristischen Themen wie der Kochkunst, rituellen und Handwerkstraditionen abzuschließen. Angehängt ist eine nicht ganz fehlerfreie (wenn die Entstehung von DADA durch Tristan Tzara unzutreffend nach Paris verlegt wird) Aufführung von Persönlichkeiten aus den kulturellen Leben, in der Literatur auch wieder an Bukowiner AutorInnen wie Celan, Ausländer, Meerbaum-Eisinger u.a. ausgerichtet, allerdings auch mit erfreulichen Hinweisen auf vielfach kaum wahrgenommene ungarischsprachige AutorInnen, während aber die Avantgarde in der bildenden Kunst kaum vorkommt.
Hervorzuheben ist die opulente Ausstattung des Bandes mit (manchmal etwas klein geratenen) Farbfotos. Sie ermöglichen eine eigene Lektüre und erzählen ihre eigene Geschichte, wenn man sich in sie vertieft. Wenn auch diese große Zahl von Abbildungen die Entscheidung für ein durchgängiges Hochglanzpapier des Buches bestimmt haben dürfte, so ist doch darauf hinzuweisen, dass dieses Papier starke Lichtquellen reflektiert und das Lesen nicht immer erleichtert. Aber eben auch die zahlreichen Fotos in hervorragender Qualität ermöglicht.
Alles in allem ein lesenswerter Band mit eigenen Akzentsetzungen und einer (fast schon) historischen Perspektive auf die sich verändernden und bleibenden Aspekte Rumäniens.
Birgit van der Leeden: Rumänien – armes reiches Land.
Schiller Verlag Bonn/Hermannstadt 2022
295 Seiten, zahlreiche Farbfotos
ISBN 978-3-949583-05-6
Jalta reloaded?
Rumänien und die Geopolitik
Screenshot protv.ro
Dass die Rede von US-Vizepräsident JD Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz am 14. Februar 2025 und Nachrichten über die Verhandlungen amerikanischer und russischer Außenpolitiker in Riad mit ihren noch wenig vorhersehbaren Folgen in ganz Osteuropa für einen Schock und Entsetzen sorgen, ist wenig überraschend. Innerhalb weniger Tage und Stunden scheint die gesamte, über Jahrzehnte aufgebaute Sicherheitstektonik der meisten postsozialistischen Staaten durch die Äußerungen von US-Präsident Trump, seines Vize-Präsidenten Vance und anderer ranghoher Vertreter der neuen US-Administration der Vergangenheit anzugehören, ohne dass es verlässliche Szenarien für die zukünftige Sicherheit der europäischen Demokratien gibt. Während die baltischen Staaten und Polen immer schon aus dem Selbstbewusstsein ihrer historischen und geopolitischen Lage heraus konsequente Verteidigungspolitik machten, trafen Rumänien die Äußerungen der US-Spitze offensichtlich in Mark und Bein. Wenn auch die Medien in solchen Fällen zu Übertreibungen und Vereinfachungen neigen, so schien dennoch schnell das historische Kürzel "Jalta" das Symbol für die aktuelle Gefühlslage abzugeben: Die Aufteilung des Kontinents vor Ende des Zweiten Weltkriegs mit dem Zuschlag Osteuropas zur Einflusssphäre der Sowjetunion Stalins wird wiedererkannt in den angeblich in Riad verhandelten Zugeständnissen an Putins Russland. Wild schießen die Phantasien ins Kraut: Die US-Streitkräfte verließen Rumänien und Deutschland. Oder Rumänien falle wieder unter die Dominanz russischer Herrschaft. Oder die Ukraine werde aufgeteilt unter Ungarn, Rumänien und Polen. Andere erinnern an das historische Treffen vor 80 Jahren auf der Krim, den "Verrat" und das "für Rumänien noch lebendige Trauma", das damit verbunden sei. Cristian Diaconescu, immerhin Chef der Kanzlei des Interimspräsidenten Ilie Bolojan und dessen Sicherheitsberater, warnte davor, dass Russland die Rücknahme der NATO-Garantien auf der Linie von 1997 verlangen könne und damit Rumänien, das wie Bulgarien, Slowakei, Slowenien und die baltischen Staaten erst 2004 dem Verteidigungsbündnis beitrat, nicht mehr von dessen Sicherheitsgarantie profitiere. Diaconescu sagte rundheraus: "Als auf die Situation dieser Zone bezogene Folge treten wir in einen Kontext von Verhandlungen, in die wir nicht mehr einbezogen wären, wie bei Jalta und die offensichtlich zu einer Anerkennung einer Einflusssphäre Russlands führen würde. Das ist nicht meine Interpretation, sondern ihre Ausdrucksweise." Diaconescu präzisierte allerdings, dass dies nicht Thema in Riad gewesen sei, aber sich täglich, ja stündlich die Situation ändern könne. "Die USA haben in diesem Moment abgelehnt, aber wir haben keine Garantien."
Der neue Außenminister Emil Hurezeanu beeilte sich, die Wellen zu glätten und wies darauf hin, dass die Regierung keine Daten besitze, wonach bei den Verhandlungen in Riad eine mögliche Aufteilung der Interessensphären zwischen Russland und den USA Thema sei. Auch Regierungschef Marcel Ciolacu (PSD) sprach sich entsprechend aus. Der renommierte Politologe Armand Goșu zeichnet in Revista 22 dennoch ein keineswegs optimistisches Bild von amerikanischen Verhandlungen mit Zelenskij beim Münchner Gipfel, bei dem diesem ein Vertrag aufgenötigt werden sollte, der die Bodenschätze der Ukraine an die USA ausliefere ohne Garantien für eine sichere Zukunft, was der ukrainische Präsident hartnäckig abgelehnt habe. Unübersehbar ist für Goșu, dass "in München sich die Fraktur der westlichen Welt bestätigt" habe. Ausgiebig zitiert wird ein Artikel bei Bloomberg von Andreas Kluth, der ein neues Jalta zwischen Xi, Putin und Trump aufziehen sieht. "Dies könnte zum Krieg zwischen den drei führen, wenn sie sich nicht über die Beute einigen können. Dies wird einige kleinere Staaten dazu verurteilen, dazwischen gefangen zu sein."
Damit nicht genug, kamen aus den USA weitere Signale, die auf beunruhigende Weise geeignet sind, ein gezieltes Vorgehen gegen die demokratischen Regierungen in Europa nahezulegen. Unübersehbar in den Parallelen zur Bundesrepublik haben Vizepräsident Vance und der Milliardär Elon Musk sich in die Wahlen in Rumänien eingeschaltet. Vance hatte bei der Sicherheitskonferenz in München mehrfach Rumänien genannt, als er doppeldeutig davon sprach, dass die gemeinsamen Werte in Gefahr seien. 1
Wenige Tage danach wiederholte Vance bei einer Parteiveranstaltung in den USA, dass die Annullierung der Wahl in Rumänien ("nur weil dir das Resultat nicht gefällt"), nicht mit den Werten der USA übereinstimme – ohne auf die konkreten Umstände der rumänischen Entscheidung näher einzugehen. Auch diese Äußerungen des Vizepräsidenten der USA lösten in Bukarest bezeichnende Echos aus. Crin Antonescu, Präsidentschaftskandidat der Regierungskoalition, versuchte die Angelegenheit betont ruhig herunterzuspielen und vermutete ungenügende Information durch die rumänische Regierung bzw. den damaligen Präsidenten Johannis. Premierminister Ciolacu (PSD) pflichtete dem bei.
Aber es gibt auch Berichte, wonach die Trump-Administration auf rumänische Gesprächspartner einwirke, die Kandidatur des Rechtsradikalen und Pro-Putin-Kandidaten Georgescu nicht zu untersagen. Dass solche alarmierenden Attacken aus den USA orchestriert gegen die demokratischen Regeln europäischer Staaten sich richten, macht der Milliardär Musk klar, der wiederholt für die rechtsradikalen und pro-Putin-AktivistInnen in AUR und für Georgescu sich aussprach. Dabei werden auch antisemitische Anspielungen auf die seit der Wende von 1989 konstruktiven zivilgesellschaftlichen Aktivitäten des Milliardärs Soros deutlich und der Präsident des Verfassungsgerichts, das die Wahl im Oktober annullierte, als "Tyrann" bezeichnet. Siegfried Mureșan, Europaabgeordneter der PNL, schätzt das Verhalten von Musk so ein: "Er macht dies, weil er den Extremisten Georgescu unterstützt. Elon Musk und Călin Georgescu unterstützen zusammen Dinge, die nicht gut sind für Rumänien. Lassen wir uns nicht einschüchtern. Die wichtigste Sache ist: Informieren Sie sich gut, denken Sie mit Ihrem eigenen Kopf und bringen Sie nicht die Zukunft Rumäniens in Gefahr." Angesichts der digitalen und medialen Manipulationsvorgänge keine leichte Forderung.
1 tagesschau.de fasste zusammen: "Als er kurz danach noch mal auf Rumänien zu sprechen kommt und sinngemäß sagt: Wenn eine Social-Media-Kampagne so sehr die Wahlen beeinflusse, dann sei es schlicht nicht gut um die Demokratie dort bestellt - an dieser Stelle sind es genau noch drei Leute im Publikum, die das mit Beifall quittieren."
Internationales Festival George Enescu 2025 in Bukarest
Vom 24. August bis 21. September 2025 findet in Bukarest die 27. Ausgabe des Festival Internațional George Enescu statt. In diesem Jahr begeht das Festival insbesondere das Gedächtnis des 70. Todestages des Komponisten mit zahlreichen Aufführungen seiner Werke im Programm.
Künstlerischer Leiter ist der Dirigent Cristian
Măcelaru, der insgesamt 95 Konzerte in 7 Serien versammelt hat. Dazu treten die großen Orchester und Ensembles der Welt (Staatskapelle Dresden, Concertgebouw, London Royal
Philharmonic, Orchestre National de la France, Academy of St. Martin in the Fields, Tonhallenorchester Zürich u.a.) mit herausragenden DirigentInnen (Manfred Honeck, Päävo Järvi,
Măcelaru, Keri-Lynn Wilson, Daniele Gatti, Charles Dutoit, Iván Fischer, Vasily Petrenko, Daniel Harding u.a.) und einzigartigen SolistInnen wie Martha Argerich, Anne-Sophie
Mutter, Isabelle Faust, Renaud u. Gautier Capçuon, Sol Gabetta, Rudolf Buchbinder, András Schiff, Bruce Liu, Kirill Gerstein, Magdalena Kožená u.a. auf. Neben Enescu stehen u.a. Ravel, Schostakowitsch, Tschaikowskij, Dvořak, Elgar u.a.
sowie moderne Komponisten wie Boulez,
Dediu u.a. auf dem Programm.
Aufführungsorte sind das Ateneu Român, Sala Palatului, die Oper, Sala Radio, das Nationale Kunstmuseum, Teatru Odeon und das Museum neuer immersiver Künste.
Programm hier.
Seit 15. Februar ist der Kartenverkauf eröffnet.
Die Rumänische Akademie verweigert Mircea Cărtărescu die Aufnahme als korrespondierendes Mitglied
Die Generalversammlung der Rumänischen Akademie hat am 12. Februar 2025 dem Antrag ihrer philologischen Abteilung widersprochen, Mircea Cărtărescu, den bekanntesten und höchst prämierten Schriftsteller des Landes, als korrespondierendes Mitglied aufzunehmen. Statt der notwendigen 74 Stimmen erhielt der Träger hoher internationaler literarischer Auszeichnungen (Dublin Literary Award, FIL, Preis der Leipziger Buchmesse) nur 73.
Nach dem Votum erklärte das moldauische Akademiemitglied und Verleger des Akademieverlags Valeriu Matei, er habe an die Mitglieder einen Aufruf gesendet, gegen Cărtărescu zu stimmen, weil dieser Mihai Eminescu, Mircea Eliade und Emil Cioran und auch das rumänische Volk mit seiner Behauptung des Antisemitismus beleidigt habe. Er sprach von Angriffen "obskurer, Soros-istisch-progressistischer Gruppen." Zudem habe Cărtărescus Trilogie Orbitor keinen Stil und sei voller pornographischer und skatologischer Konnotationen.
Der 91-jährige Autor Nicolae Breban, ebenfalls Mitglied der Akademie, bezeichnete Cărtărescu als "guten Autor, aber nicht auf dem Niveau der Akademie." Cărtărescu sei "das tiefste und alarmierendste Zeichen unserer Unfähigkeit zu ziviler und psychologischer Maturität, d.h. wir können das abstoßendste, unpassendste Material benutzen, um Geld zu machen." Seit längerem polemisiert Breban gegen die Unterstützung der internationalen Erfolge Cărtărescus durch das Rumänische Kulturinstitut (ICR).
Das Aufsehen innerhalb der literarischen Zunft ist groß. Zahlreiche AutorInnen sprachen ihre Abscheu vor der Entscheidung aus. Ana Blandiana, die als korrespondierendes Mitglied an der Abstimmung teilnahm, sagte, "ich fühle mich zutiefst gedemütigt durch die Tatsache, dass ich verpflichtet bin (von mir selbst verpflichtet, von meinem eigenen Gewissen) in dieser Vollversammlung der Rumänischen Akademie das Wort zu ergreifen gegen das Ausschütten von Hass, Vulgarität, der Verleumdung und des Obskurantismus, das mich zurückversetzt in die Zeiten der Zeitschriften Săptămână und România Mare. Jahrelang wurde ich in diesem Stil und mit dieser Gewalt attackiert".
Der junge siebenbürgische Autor und Universitätsprofessor Radu Vancu stellte fest, die Akademie "schafft es leider nicht, sich von diesem Geist eines protochronistischen, antimodernen, ressentimentalen Nationalismus, der zu dem unglücklichen Ereignis der Zurückweisung von Mircea Cărtărescu geführt hat, zu lösen. Die Rumänische Akademie weigert sich eine Akademie zu werden."
Auch außerhalb der Literatur erhoben sich Stimmen der Kritik. So sprach der Dirigent Gabriel Bebeșelea, Leiter des Sinfonieorchester Bukarests, von der "Renormalisierung des Nationalismus, der die historischen Realitäten ablehnt und verdunkelt, uns von den europäischen Werten, der zivilisierten Welt und des Friedens entfernt. Nicht Mircea Cărtărescu braucht Rumänien, sondern Rumänien braucht Mircea Cărtărescu."
Gabriel Liiceanu, Philosoph und Verleger des Humanitas-Verlags, kritisierte auch den Präsidenten der Akademie, Ioan-Aurel Pop, heftig: "Warum sollte jemand Teil einer Akademie sein wollen, die von einem Historiker auf den Spuren eines ceausestischen Kitsch-Nationalismus geleitet wird, der glaubt, er diene dem Land, indem er Historie in Mythologie transformiert? Der diese Version von Geschichte perpetuiert, um jede Reform ihres Unterrichts in den rumänischen Schulen zu blockieren? Wäre es nicht besser, diesen aus dem Durcheinander der vergangenen und gegenwärtigen Geschichte heraufbeschworenen Mob aufzulösen und an seiner Statt eine neue Akademie zu machen - wie taufrisches Wasser?"
Pop hingegen sprach von der Möglichkeit, dass Cărtărescu schon bald Vollmitglied der Akademie werden könnte.
Die Ära Johannis ist beendet
Heute, am 12.Februar 2025, endete gegen 12:30 Uhr die Präsidentschaft des früheren Bürgermeisters von Sibiu (Hermannstadt), Klaus Johannis. Mit der durch ein kurzes Zeremoniell im Palast Cotroceni erfolgten Übergabe des Amts an Interimspräsident Ilie Bolojan (PNL) legte Johannis die zwei Amtsperioden (10 Jahre) ausgeübte Funktion nieder – wenige Wochen bevor durch die Wiederholung der im Herbst 2024 spektakulär gescheiterten Wahl eines/r Nachfolgers/in seine reguläre Amtszeit geendet hätte.
Während der beiden Mandate hat sich das Ansehen des Präsidenten aus der deutschen Minderheit von anfangs großer Euphorie und Erwartung zunehmend verschlechtert. Zuletzt wurde ihm unterstellt, er habe mit den Koalitionsparteien PNL und PSD dafür gesorgt, dass der erste Wahlgang für seine Nachfolge annulliert wurde. Die Oppositionsparteien hatten am Montag im Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Johannis beantragt, dem der Präsident durch den Rücktritt zuvorkam.
Staatspräsident Johannis tritt zurück
Der rumänische Staatspräsident Klaus Johannis hat für Mittwoch, 12. Februar 2025 nach 10 Amtsjahren seinen Rücktritt angekündigt. Hintergrund ist ein Suspendierungsverfahren im Parlament, das rechte Oppositionsparteien (AUR, POT, SOS) in die Wege leiten wollen. Diesem Verfahren will jetzt auch die Reformpartei USR beitreten. Beide Vorgänge – Rücktritt und Amtsenthebungsverfahren – stellen ein Novum in der Nachwendegeschichte Rumäniens dar. Bisherige Absichten der Opposition zur Suspendierung des Präsidenten hatte die Koalition aus PNL, UDMR und PSD verhindern können. Jetzt wurde mit der Absichtserklärung der USR erstmals die Realisierung des aufwendigen Verfahrens, das auch ein Referendum beinhaltet, möglich. Für Mittwoch war eine erste Debatte hierzu im Parlament vorgesehen. Interimspräsident wird der Präsident des Senats, Ilie Bolojan (PNL).
Johannis sagte heute, 10.Februar 2025, in seiner Rücktrittserklärung:
„Heute wurde im rumänischen Parlament die Suspendierungsprozedur des Präsidenten in Gang gesetzt. Dies ist ein unnützer Vorgang, weil ich in wenigen Monaten nach der Wahl des neuen Präsidenten sowieso aus dem Amt scheide. Es ist ein unbegründeter Vorgang, weil ich nie – ich wiederhole, nie – die Verfassung verletzt habe. Und es ist ein schädlicher Vorgang, weil von jetzt an alle verlieren, niemand gewinnt.
In wenigen Tagen wird im Parlament Rumäniens über meine Suspendierung abgestimmt und Rumänien wird in eine Krise geraten. Rumänien wird in eine Krise geraten, weil es das Referendum für die Entlassung des Präsidenten einleitet. Dieser ganze Vorgang wird intern und leider auch extern Folgen haben. Intern wird das Referendum ein eminent negatives sein. Die Gesellschaft wird geteilt werden, einige werden dafür sein, andere werden nicht einverstanden sein. Die ganze Diskussion wird aber nur negativ orientiert sein. Die ganze Gesellschaft wird aufgewühlt. Es wird nicht mehr über die anstehenden Präsidentenwahlen diskutiert werden. Es wird nicht mehr darüber diskutiert werden, wie Rumänien vorwärts kommt. Selbst die Kandidaten werden in diesem negativen Amalgam nicht mehr ihre Ideen präsentieren können.
Auf außenpolitischer Ebene werden die Auswirkungen langfristig und sehr negativ sein. Unter unseren Partnern wird absolut niemand verstehen, weshalb Rumänien seinen Präsidenten entlässt, nachdem faktisch bereits der Wahlprozess für den neuen Präsidenten begonnen hat. Absolut niemand wird verstehen, welchen Sinn ein solches Vorgehen hat, wenn der amtierende Präsident sowieso gehen wird. Auf gut Rumänisch, wir werden wirklich zum Gelächter der Welt. Um Rumänien und die rumänischen Bürger vor dieser Krise, dieser unnützen und negativen Entwicklung zu schützen, trete ich vom Amt des Präsidenten Rumäniens zurück. Ich werde das Amt übermorgen, am 12. Februar, verlassen.“
"Geschichtlich gesehen ist Moldau ein noch sehr junges Land"
Interview mit Aureliu Ciocoi, Botschafter der Republik Moldau
Herr Botschafter Ciocoi, zu Beginn würde ich Sie gerne fragen, wie lange Sie schon in Berlin als Botschafter wirken?
Das ist mein zweites Mandat als Botschafter in Berlin. Ich hatte schon mal hier als Botschafter gedient – 2010 bis 2015. Damals war ich nach dem Ende meines Dienstes in Berlin nach Peking gewechselt, dann nach Washington. Dann diente ich in verschiedenen Positionen in Moldau als Präsidentenberater. Danach war ich zweimal Außenminister und als letzte Position vor der Ankunft in Berlin war ich kommissarischer Ministerpräsident und Außenminister gleichzeitig. Und jetzt ist es, wie gesagt, mein zweites Mandat als Botschafter in Berlin, seit Februar 2022. Kurz vor Einmarsch Russlands in die Ukraine. Am 24. Februar erlebte ich diesen Kriegsausbruch schon in Berlin.
Dann sind Sie also in eine extreme Situation eingestiegen?
Ja, das war völlig überraschend. Keiner hatte gedacht, dass im 21. Jahrhundert so etwas möglich ist, in Europa!
Man hat das nicht für möglich gehalten bis eine Woche vorher US-Präsident Biden sagte, sie werden jetzt angreifen.
Ja.
Sie sind Karrierediplomat, d.h. Sie sind in den diplomatischen Dienst eingetreten, ohne dass Sie sich in der Politik bewegen. Sind Sie Mitglied einer Partei?
Nein. Das war mein Lebensprinzip, mich nicht politischen Parteien anzuschließen, sondern einfach meinem Land zu dienen, egal welche politische Partei an der Spitze ist. Weil in diesem Fall der Beamte einen objektiven Blick auf die Lage im eigenen Land hat und auch ich als Diplomat zumindest versuche, einen objektiven Blick auf die internationale Lage zu behalten. Ohne im Hintergrund den Druck von einer eigenen politischen Partei zu haben. Das ist nicht einfach, das ist ein Hindernis, eine bessere Karriere zu machen. Aber das ist meiner Meinung nach auf jeden Fall viel besser, als Parteimitglied sich zu bewerben. Und in meinem Fall ein Beispiel, dass ein unabhängiger und politisch freier Diplomat auch eine gute diplomatische Karriere haben kann.
Von Ihrer Herkunft her, aus welcher Region in der Republik Moldau kommen Sie?
Ich bin geboren in der Hauptstadt Chișinău. Aber meine Kindheit habe ich bei meinen Großeltern im Nordteil Moldaus am Grenzfluss mit Rumänien verbracht, am Pruth.
Und Sie kannten die Bundesrepublik vorher? Oder als Außenminister?
Der erste Besuch in Deutschland war komischerweise ‘89 noch in der DDR. Damals war ich Student, und wenn Sie sich erinnern, oder wahrscheinlich wissen Sie es, damals gab es diesen Studentengruppenaustausch zwischen verschiedenen Ländern aus dem sozialistischen Lager und der UdSSR. Als Student war ich mit unserer Gruppe nach Eisenhüttenstadt geschickt worden. Ich erinnere mich, das war ein riesiges Stahlwerk und wir haben dort zusammengearbeitet mit unseren deutschen Kollegen, Studenten von verschiedenen Universitäten von August ‘89 bis Ende September ‘89. Und ich habe tolle Erinnerungen. Damals waren wir jung, und was mich daran damals wunderte, war die Angst der deutschen Kollegen aus der DDR, offen mit uns zu reden. Weil bei uns war schon die berühmte Perestroika von Gorbatschow. Wir konnten frei reden, frei uns äußern gegenüber den Fehlern, die die Sowjetunion gemacht hatte am Anfang der bolschewistischen Zeit der UdSSR. Ohne Konsequenzen für uns. Und ich erinnere mich, mein deutscher Freund sagte mir: „Mein lieber Kumpel, pass mal auf, in ein paar Wochen kehrst du wieder zurück in deine Heimat, aber ich bleibe hier und ich habe keine Ahnung, wer von uns von der Stasi ist. Und dann bekomme ich Ärger.“ Wir hatten ziemlich offen damals gesprochen. Ich erinnere mich, wir hatten ständig die Frage gestellt an unsere deutschen Kollegen, wieso sie noch die sowjetische Armee in der damaligen DDR so viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg duldeten. Das schien keine Befreiungs-, sondern eine Besatzungsarmee zu sein. Sie waren einfach schockiert, mit solchen Fragen sich zu beschäftigen.
Vielleicht waren sie auch etwas linientreuer – August, September 1989 waren schon die Vorfälle in Prag…
Genau. Das war nahe am Mauerfall hier in Berlin. Bei mir sind noch in Erinnerung diese lebendigen Bilder. Wir waren zu Besuch in Berlin und sind aus der U-Bahn am heutigen Unter den Linden ausgestiegen und was mich wunderte – die Schienen gingen weiter, aber der Tunnel war gesperrt. Ich fragte, Jungs die Schienen gehen weiter, der Tunnel sollte weitergehen, aber tut es nicht. Das ist doch nicht normal. Das zeigt, dass ein normal funktionierender Staat geteilt ist. Es klingt wahrscheinlich superklug, aber ich hoffe zumindest, dass unsere damaligen Gespräche mit unseren DDR-Kollegen und Kolleginnen ein bisschen beigetragen haben zum Mauerfall.
Dass sie einen Blick bekommen haben, wie weit andere Entwicklungen schon waren. Wie würden Sie danach die Unabhängigkeit der Republik Moldau 1991…
Dann kommt die Unabhängigkeitserklärung der Republik Moldau, das war am 27. August 1991.
Ohne historisch jetzt darauf eingehen zu wollen, aber es ist ja einerseits noch kein so langer historischer Prozess, also 30 Jahre, dass es her ist…
Geschichtlich gesehen ist Moldau ein noch sehr junges Land.
Ein neues Land, das aber am Anfang damit zu tun hatte, zu zeigen, dass es ein eigenes Land ist, dass es sich nicht mit Rumänien vereinigt, dass es nicht mehr zur Sowjetunion gehört, dass es ein eigener Staat ist. Das hat ja insofern bisher funktioniert, aber es ist ja immer so, dass wie man anfängt, das schleppt man noch eine zeitlang mit.
Die Probleme sind noch da, wie würden Sie über diese wenigen 30 Jahre sagen, wie ist die Entwicklung gewesen? Wenn man vom Anfang, von Deutschland ausgeht mit dieser Wiedervereinigung, wie haben sich die Dinge entwickelt? Strukturell, im Land selbst?
Erstens, muss ich sagen, wenn wir auf die Unabhängigkeitsfeiern der ehemaligen UdSSR-Länder schauen, stellen wir überraschend fest, dass quasi alle ehemaligen UdSSR-Republiken in einer Reihe eine nach der anderen ihre Unabhängigkeit proklamiert haben. Z.B. nehmen wir die Ukraine, Ukraine feiert die eigene Unabhängigkeit am 24. August, und dann folgt in 3 Tagen Moldau, 27. August. Wenn wir auf diese Reihe von Armenien, Georgien, Kasachstan, Usbekistan schauen: Das bedeutet, dass in einem Moment diese Unabhängigkeit als Geschenk ging an ehemalige UdSSR-Mitglieder, die damals noch sowjetische sozialistische Republiken waren. Ich hatte selbst teilgenommen an mehreren Demonstrationen in Chișinău, unserer Hauptstadt. Und wir haben damals gekämpft für die rumänische Sprache als Staatssprache in unserer noch sowjetischen sozialistischen Republik. Für mehr Freiheit und so weiter und so fort. Und dann kamen die Parolen für mehr Souveränität und Unabhängigkeit. Das waren schon politische Parolen. Ich erinnere mich, der Widerstand gegen die kommunistische Partei Moldaus als Teil der größeren kommunistischen Partei der Sowjetunion – das waren auch Auseinandersetzungen mit der Polizei oder, wie sie damals hießen, Milizen oder Volksmilizen. Aber es gab keine große Gewalt.
Raub dakischen Goldes aus niederländischem Museum
Radu Oltean/Wikipedia
Commons
Hohe Wellen schlägt in Rumänien die Nachricht aus den Niederlanden, dass am 25.2.2025 aus dem Museum Drents in Assen Teile des Tezaur dacic, des Daker-Schatzes, geraubt wurden. Es handelt sich bei den gestohlenen Objekten um die 4 wertvollsten Goldgegenstände aus 673 Artefakten, die aus 18 rumänischen Museen für die Ausstellung "Dacia! Rijk van goud en zilver” (Dacia! Regatul aurului și argintului)" ausgeliehen wurden.
Die Täter sprengten gegen 03:45 Uhr den Museumseingang und raubten die Ausstellungsstücke, bevor sie mit einem später verbrannt aufgefundenen VW-Golf flüchteten. Offensichtlich war das Gebäude nur elektronisch gesichert, Wachleute gab es nicht. Der Versicherungswert der gesamten Ausstellung lag bei 30 Millionen Euro.
Die entwendeten vier Goldobjekte besitzen neben dem
materiellen auch hohen historischen und vor allem auch identifikatorischen Wert: Der Coiful de aur de la Coțofenești aus dem 4. Jahrhundert v. Ch. stellt ein
einzigartiges Meisterwerk trakisch-getischer Goldverarbeitung dar und zählt zu den in Rumänien bekanntesten Objekten jener Epoche. Auf dem 1927 von spielenden Kindern auf einem Acker bei Coțofenești Kreis Prahova, gefundenen Prachthelm aus purem Gold sind mit
griechisch-persischen Stilversatzstücken detaillierte Darstellungen von Opferungen, Gesichtern, Phantasietieren in das Gold getrieben. Der Helm gehört zum Patrimonium Naional
Rumäniens und
wurde im
Nationalmuseum (MNIR) in Bukarest ausgestellt. Die weiteren gestohlenen Gegenstände sind 3 goldene dakische
Spiralarmreife aus Sarmigezetusa, ebenfalls
aus dem
MNIR.
Der seit 23.Dezember 2024 amtierende Aussenminister Emil Hurezeanu sprach bei seinem niederländischen Amtskollegen vor, um auf die Bedeutung der gestohlenen Objekte und Dringlichkeit der Wiederbeschaffung hinzuweisen. In Bukarest trat der Kulturausschuss des Parlaments zusammen. Zahlreiche Spekulationen über fehlerhaftes Vorgehen rumänischer Behörden schießen ins Kraut. Auch Angehörige der deutschen organisierten Kriminalität werden neben rumänischen Kriminellen als mögliche Täter genannt.
Peter Schlemihl und das Exil
Eine Romancollage von Norman
Manea
Welche Gründe auch immer den rumänischen, in den USA lebenden Autor Norman Manea bewogen haben mögen, seine späte Auseinandersetzung mit seinen Lebensthemen Exil und Schatten als eine Collage aus diversen Textgattungen zu gestalten – das Ergebnis ist faszinierend und abwechslungsreich. Es beginnt mit der rumänischen Herkunft des Ich-Erzählers, der viele Züge des Autors trägt, seinen traumatischen Kindheitserfahrungen in einem Lager während des Zweiten Weltkriegs, seine Auseinandersetzung mit dem staatlichen Repressionssystem danach, mit der Ausreise nach Deutschland zur Wendezeit. Der entscheidende, auch das Buch prägende Wechsel stellt allerdings die Einreise in die USA dar, die auch einen Wechsel in der Tonart des Romans mit sich bringt. Während die Passagen aus Rumänien und auch noch aus dem sich "vereinigenden" Deutschland geprägt sind von den Katastrophen des 20. Jahrhunderts, zeigt sich das amerikanische Universitätscampus-Leben als eine für den gebeutelten Europäer nur mit viel Sarkasmus zu ertragende Farce aus hinter Höflichkeitsfloskeln nur schlecht getarnter Gier, Unehrlichkeit und Egoismus. Sie geben dem Erzähler Gelegenheit, neben Liebesaffären, Wissenschaftstratsch, Theoriegeplänkel auch brillant formulierte Überlegungen über den Lauf der Welt und die Lage des Exilanten darin darzustellen. Das Exil, das hier thematisiert wird, weist weit über die historischen Formen hinaus, Exil ist existenziell, es beginnt schon mit dem Verlassen der mütterlichen Bauches in eine fremde kalte Welt.
Dem entspricht in gewisser Weise des Erzählers Faszination für die romantische Geschichte Peter Schlemihls, die der französische Exilant Adelbert von Chamisso am Beginn des 19. Jahrhunderts erzählte und in der der Held seinen Schatten verkauft. Es sind unterschiedlichste Texte – Seminararbeiten zur Schlemihl-Figur, theoretische Aufsätze zur jüdischen Galut, Briefe –, mit denen Manea neben den ausführlichen Motiven der Erzählung die großen Themen Exil und Schatten vertieft, um diesen Strang seiner Geschichte mit dem Thema des entfremdeten Nomaden zu verbinden. – Eine oft leicht erzählte, aber tiefgründige Reflexion über die eigentümliche Situation einiger Menschen und ihrer Geschichte(n) im 20. und 21. Jahrhundert.
Norman Manea: Der Schatten im Exil (Umbra exilată). Roman-Collage
Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner
Hanser Verlag München 2023
319 Seiten
ISBN 978-3-446-27628-4
Spuren der Verschwundenen
Eine außergewöhnliche Studie zur "Umsiedlung" der Bessarabiendeutschen
In den Geisteswissenschaften gibt es eine Darstellungsform, die nicht primär aus dem Thema oder Gegenstand der Forschung abgeleitet wird, sondern die den/die Forschende/n selbst als Ausgangspunkt für die Darstellung des Gegenstands nimmt: In der Thematisierung der eigenen Motivation, des Vorgehens, der gewählten Methode und des Gangs der Recherche und Darstellung gewinnt diese Variante eine große Unmittelbarkeit und Nähe zu den Umständen, unter denen Wissenschaft "gemacht" wird und ihre Resultate entstehen. Es ist sicher nicht unangemessen, auch die große Studie von Susanne Schlechter über verschwundene kranke Umsiedler aus Bessarabien unter diese zweite Darstellungsform einzuordnen. Denn nicht nur in der umfangreichen Einleitung, sondern auch im Fortgang der Arbeit wird immer wieder die wissenschaftliche Spurensuche mit den eigenen Umständen und Voraussetzungen reflektiert/kontextualisiert und das Wachstum der Quellen und Informationen sowohl mit der vorgenommenen Aufgabe als auch zu neuen Fragestellungen in Bezug gesetzt. Dass bei diesem Vorgehen sich Redundanzen und auch überflüssig erscheinende Hinweise (wie etwa die Abbildung des Berichts einer Lokalzeitung über die Arbeit der Doktorandin) einschleichen, ist ein angesichts des Gewinns ein zu vernachlässigendes Monitum.
So beginnt das Buch mit einer Skizzierung des "kulturellen Kontexts", in dem Gegenstand und dessen Erforschung zu situieren sind. Sie lassen sich allgemein mit einem "Unbehagen an der Erinnerungskultur" (Aleida Assmann) bezeichnen, ein Unbehagen, das auch unmittelbar die Autorin betraf. Die Studie entstand während eines langen Zeitraums, von 2007 bis 2017, und hatte einen noch längeren Vorlauf – denn der Autorin Interesse an der Frage der Umsiedlung und den Euthanasiemorden rührte aus der Familiengeschichte: Der Großvater war 1940 aus Bessarabien umgesiedelt worden, aber in Westpreußen in einer Heil-und Pflegeanstalt "zu Tode gekommen". 14 Jahre sammelte die Autorin bereits zu diesem Fall. Sie arbeitete als Leiterin einer "kleinen NS-Gedenkstätte auf dem Gelände einer psychiatrischen Klinik in Wehnen bei Oldenburg" (15)" – ein prekäre Absicherung für eine aufwendige wissenschaftliche Arbeit. Allerdings war es auch der Ort, an dem 2005 eine Besucherin der Autorin den Nachlass ihrer Mutter, einer NS-Schwester, die an der "Umsiedlung" beteiligt gewesen war, zugänglich zu machen begann. Mit einem kleinen 6-monatigen Stipendium konnte die Autorin diese Dokumente bearbeiten. Sie sind im Quelleninventar des Bandes abgedruckt und beschrieben, so dass die Seiten 383 bis 640 als umfangreiche Edition dieses Nachlasses der NS-Schwester Dorothee Rakow/Körten fungieren.
Diese Arbeit war das erste von 4 Modulen der Förderung durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), in denen Schlechter bis 2010 ihre Forschungen durchführte. Danach dauerte es noch einmal mehrere Jahre bis neue Literatur ihr Thema veränderte und die Ergebnisse in anderem Licht darstellten, so dass das jetzige voluminöse Buch einen Schlusspunkt unter eine lange "work in progress" darstellt.
"Empowerment" und Skepsis
Mihaela Drăgan, Nicoleta Ghiță (TechnoWitches)
Der letzte Tag des Festivals steigerte die inhaltlichen und auch formalen Tendenzen der vorangegangenen Tage in der Hinwendung zu den Grenzen der literarischen Mittel und Absichten. So eröffnete die Veranstaltung überzeugend eine Performance mit Filmen der ausdrucksstarken, international anerkannten und mit dem Deutschen Schauspielpreis ausgezeichneten Roma-Aktivistin Alina Șerban. Sie führte in einer Pantomime die Wege ihrer eigenen Biographie auf, die wie auch die Filmausschnitte auf die jahrhundertelangen und aktuellen Diskriminierungen der Roma hinwiesen.
Im anschließenden Panel diskutierte Ioana Elena Urda mit Tudor Ganea, Miruna Vlada und Mihaela Drăgan über Fragen der Selbstermächtigung, gesellschaftliche Benachteiligung und Perspektiven der Emanzipationspolitik. Miruna Vlada kam im Widerstand gegen die väterliche Autorität und als Politikwissenschaftlerin zur Dichtung, in der sie erkennen lässt, wie ihre Forschungen auch ihre sehr persönlichen Wahrnehmungen erweitern. Ganea schildert in seinem Roman Cazemata Erlebnisse seiner Jugend in einem von Jugendgewalt und ethnischen Problemen geprägten Stadtviertel in Constanța. Heute als Architekt tätig, entwirft der Roman ein eindringliches Bild der frühen Wendejahre. Die Roma-Aktivistin Mihaela Drăgan, die u.a. am Berliner Gorki-Theater aufgeführt wurde, las aus einem von den sog. sozialen Medien inspirierten Stück, das die Verherrlichung der Jungfräulichkeit in ihrer community kritisiert und auf das Unglück verweist, das dieser Mythos immer noch verursachen könne. Einem von diesen Themen und Thesen sehr eingenommenen Publikum widersprach teilweise der "soziale Entrepreneur" Valeriu Nicolae, der in einem erfolgreichen Buch über seine nicht eindeutige Roma-Herkunft berichtet hat, ansonsten aber seinen Weg zur Errichtung von Kindergärten für mehrere hundert vernachlässigte Kinder zeigt, die ihn glücklicher mache als all seine früheren Tätigkeiten als Politiker, Autor oder Geschäftsmann.
Am Abend lud dann die Rap-Musik von Mihaela Drăgan und Nicoleta Ghiță (TechnoWitches) das sehr gemischte Publikum ein, sich auch auf diese mitreißende Art zu "empowern". So endete dieses sehr anregende, informative und erhellende Festival zur aktuellen rumänischen Kultur in einer zerrissenenen Gegenwart mit ihren Problemen und künstlerischen Suchbewegungen.
Privilegien und neue Heimaten
Adrian Șchiop, Gianina Cărbunariu
Am vorletzten Tag des Festivals (1.3.2024) eröffneten zwei unterschiedliche Panels ebenso unterschiedliche Perspektiven auf die rumänische Literatur. Zunächst begrüßte Moderator Alexander Graeff unter der sich widerständig erweisenden Frage nach der "Heimat" die AutorInnen Theo Herghelegiu (per Zoom) und Adrian Șchiop, Radu Pavel Gheo und Gianina Cărbunariu. Gheo hat in seinem Essayband Adio patria mea, der ein groteskes und unzugängliches Amerika zeichnet, seine Erfahrungen einer gescheiterten Auswanderung in die USA thematisiert. Aus seinem bisherigen Werk soll im Frühjahr zur Buchmesse in Leipzig der ebenfalls eine Migration, nämlich die nach Jugoslawien, reflektierende Roman Disco Titanic in deutscher Übersetzung im KLAK-Verlag vorliegen. Auswanderung ist auch Thema seines Panoramas der Wende-Jugend in Noapte bune, copii! (s. auch auf unserer Unterseite "Literatur"[downscroll]!).
Ebenfalls aus einer Auswanderung – nach Neuseeland – kehrte der sich nicht nur als Klimaaktivist und China-Anhänger outende Șchiop nach Rumänien zurück, das er als den Ort bezeichnete, an dem es ihm am besten gefalle. Als sehr häufig Reisende definierte Cărbunariu als ihr patria das, wo das Leben einen Sinn macht, während nach Herghelegius Kritik an KI und political correctness die Diskussion auch die Frage erreichte, inwieweit Freiheitsrechte auf dem Papier ihren Wert haben, wenn die soziale Situation ihre Realisierung verhindert.
Im nächsten Panel konnte die Schriftstellerin Dana Grigorcea als Moderatorin drei weitere Autorinnen
begrüßen. Die Dichterin Anastasia Gavrilovici ist in Rumänien eine der auffallendsten Jungautorinnen, wie der Auszug aus ihrem Gedicht Viețiile altora bestätigte. Während es ihr um
Frauenrechte, Gewaltverhältnisse, Vorurteile geht, ging die Romanautorin Iris Wolff bei der Frage nach der "Heimat" sehr differenziert auf ihr Verhältnis zu Rumänien als Ort der Handlungen ihrer
erfolgreichen Bücher ein. Die auch als Drehbuchautorin erfolgreiche Ilinca Florian erklärte ihre Auswanderung nach Deutschland als "Hängengebliebensein" auf dem Weg in die USA (zunächst in Österreich). So ging die facettenreiche Auseinandersetzung über mögliche "neue Heimaten" von ganz unterschiedlichen Voraussetzungen und literarischen Ausformungen
aus, deren Ergebnisse unterschiedliche Lichter auf die aktuelle rumänische Literatur werfen.
Klassiker und Kurzfilme
Zwei Filmabende beim Festival "Don't look back"
Bernd Buder, Corneliu Porumboiu
Das Festival widmete sich nicht nur der Literatur, sondern bezog auch Film, Fotografie, Musik, Theater
mit ein. So standen am 29. und 30. Februar 2024 Lang- und Kurzfilme aus Rumänien und Berlin auf dem Programm. Der erste Abend brachte den Klassiker von Corneliu Porumboiu A fost s-au n-a fost (12:08 East of Bucharest) zur Aufführung, dem sich ein Gespräch des Programmdirektors des Cottbuser Filmfestivals, Bernd Buder, mit dem anwesenden
Regisseur anschloss. 2006 entstanden, bleibt Porumboius Geschichte von dem halbherzigen Versuch eines provinziellen Lokal-TV-Besitzers, über das revolutionäre Geschehen vor Ort zu diskutieren,
ein früher Höhepunkt der rumänischen "Neuen Welle". Hervorragend besetzt, satirisch und zugleich realistisch lesbar als Auseinandersetzung mit dem verstörenden Geschehen von 1989. Porumboiu
bestätigte im Gespräch diese Sichtweise als die unterschiedlichen Ebenen seines Films.
Danach schloss sich ein "Special Screening" von Radu Judes neuem Film Don't expect too much from the end of the world. Der über zweieinhalb Stunden lange Streifen vereint die Vorzüge der sprunghaften und schonungslosen filmischen Herangehensweise des
Berlinale-Gewinners: drastisch-vulgäre Sprache, direkt-dokumentarisch wirkende Inszenierung, beißende Entlarvung gesellschaftlicher Realitäten – diesmal im Milieu einer prekär ausgebeuteten Medienmacherin,
die von früh bis spät sich mit ihrem Auto durch den
grotesken Bukarester Straßenverkehr schimpfend und fluchend von Auftrag zu Auftrag bewegt. In der Video-Diskussion mit der Produzentin des Films, Ada Solomon, betonte diese Judes auch in seinem neuen Film sichtbare große Freiheit beim Filmen.
Der nächste Abend brachte Kurzfilme aus Rumänien und Berlin. Darunter fielen Mezzo forte und Mezzo piano von Eugen Dediu durch ihre präzise Arbeit mit großen Darstellern der rumänischen Filmgeschichte auf, ebenso wie Roxana Stroe vom amerikanischen Film beeinflusst in O noapte în Tokoriki und Appalachia überraschende Blicke auf ein Rumänien der Jugend und ihrer Musik warf. Der mittlerweile beim Fernsehen beschäftigte Mihai Pavel inszenierte für seine Abschlussarbeit Take my breath away das in einer Mittelschichtnachbarschaft verbreitete Pokerspielen mit überraschender Pointe.
Nicht überraschend erweiterten die Bilder der Filme die literarischen Ansichten rumänischer Gegenwart, wobei sich immer wieder auch thematische Überschneidungen ergaben. So fanden sich in Literatur und Film gleichermaßen Kritik an den Prägungen der Arbeitswelt durch die Macht der Hierarchien oder konkret auch an den Mülltransporten nach Rumänien oder der Zerstörung der Wälder durch illegale Abholzungen.
Langer Abend
der rumänischen
Literatur
Janika Gelinek, Șerban Busuioc, Andreea Răsuceanu, Ema Stere, Joachim Umlauf, Carmen Francesca Banciu
Am zweiten Tag des Festivals "Don't look back" stellten sich sich am 27.2.2024 sehr unterschiedliche rumänische AutorInnen den Fragen der Moderatoren. Zunächst aber gewannen Studierende der Hochschule für Schauspielkunst Ernst-Busch das vollbesetzte Haus für ihre turbulente szenische Lesung des "Dokumentarmärchens" Waste von Gianina Cărbunariu (Teatru Tineretului Piatra Neamț), das satirisch die Versäumnisse der Recyclingspolitik thematisiert.
Im ersten Panel moderierte danach der Leiter des Goethe-Instituts Bukarest, Joachim Umlauf, das Gespräch mit drei Schriftstellerinnen: Die seit längerem in Deutschland lebende und auf Deutsch schreibende Carmen Francesca Banciu erinnerte an die familiären Konstellationen mit einem parteigläubigen Vater in ihrer "Trilogie der Optimisten" mit ihrem Abschlussband Lebt wohl, Ihr Genossen und Geliebten. Ema Stere schildert in Copiii lui Marcel (Die Kinder von Marcel) die in das 20. Jahrhundert versetzte historische Kommune der Falanstère von Scăieni von 1835, während Andreea Răsuceanu für ihren Roman Linia Kármán (Die Kármán-Linie) die physikalische Grenze zwischen Himmel und Erde als Metapher für trennende Emigration und Entwurzelung fruchtbar macht.
Nicht nur das ungeplante Auftauchen der aktuellen rumänischen Kulturministerin Raluca Turcan verzögerte den weiteren Ablauf des Programms, so dass sich das nächste Panel bereits in den späten Abend verschob und die zum Abschluss geplante Performance Familienreise von France-Elena Damian auf den 6.4.2024 verlegt werden musste. Im späten Panel stellte Catalin Dorian Florescu bilderreich seine Geschichte von der Feuerwehr-Dynastie in Bukarest und ihrem Domizil "Foișorul de Foc", in seinem neuesten Roman Der Feuerturm vor. Ganz anders als diese über Generationen sich erstreckende Sage erzählt Radu Găvan sehr gegenwärtig von Gewalt, Ängsten, Unsicherheit, den "Dämonen" der Individuen in seinem Roman Exorcizat (Exorziert; von Găvan liegt auf Deutsch bereits der Roman Neverland im Pop Verlag [Ludwigsburg] vor). Ähnlich Găvan hat der vielfach ausgezeichnete Augustin Cupșa eine psychologische Ausbildung und schildert in seinem Kurzprosaband Străinătate (Ausland) diverse Zustände nicht nur der Fremdheit, sondern auch der Entfremdung.
Moderator Alexandru Bulucz begrüßte zudem die Lyrikerin Moni Stănilă, deren Gedichtband Ofsaid (Abseits) überraschend die Themen Fußball, Glauben und Krieg miteinander in Beziehung setzt. Stănilă hat Theologie studiert und zog 2010 aus Rumänien in die moldauische Hauptstadt Chișinău, wo sie mit dem Schriftsteller Alexandru Vakulovski lebt. Ihre Lyrik verbindet sehr gegenwärtig die medialen und politischen Einflüsse auf das Leben junger Menschen.
Mit den ingeniösen Übersetzungen von Șerban Busoioc und den Text-Lesungen von Hannah Ley und Daniel Hoevels wurde das
Thema des Abends, "Ressourcen und Identität" der neuesten Literatur aus und über Rumänien in einen beziehungsreichen
Dialog zwischen Fremde und Entfremdung versetzt.
»DON'T LOOK BACK« eröffnet
Rumänien/Moldova-Festival im Literaturhaus Berlin
Gabriela Adameșteanu, Thomas Böhm
Im Berliner Literaturhaus wurde gestern, 26.2.2024, das einwöchige Festival zu rumänischer und moldauischer Literatur, Film und Kunst "Don't look back" eröffnet. Im Beisein von Botschafterin Adriana Stănescu und der moldauischen Botschaftergattin Tatiana Ciocoi erklärte die Organisatorin des Festivals, Ricarda Ciontos, ihren Ansatz, die Migration in Europa als Thema des Blicks auf Rumäniens und der Republik Moldovas Kultur zu fokussieren.
Am Beginn stand die Vernissage der Fotoausstellung "Away / Plecat" von Elena Stancu und Cosmin Bumbuț, die in ihrem viel beachteten Projekt zur rumänischen Arbeitsmigration seit einigen Jahren in einem Wohnmobil in ganz Europa touren, um rumänische MigrantInnen zu fotografieren und über sie zu berichten. Es sind aussagekräftige Bilder mit erhellenden Perspektiven auf die vielfach unbekannte oder verdrängte Realität Europas.
Dass das Motto der Veranstaltung ambivalent aufgefasst werden kann, zeigte der in Bukarest lebende Autor Jan Koneffke in einer kritischen Dekonstruktion der Vergangenheitsverdrängung in der rumänischen Geschichte. Paul Celan, Emil Cioran und Mihai Eminescu waren ihm Zeuge der Auseinandersetzung mit Traumata, Befreiung und Gedächtnis (Lesung durch den "Kafka"-Filmdarsteller und Autor Sabin Tambrea)
Solcherart vorbereitet begann der literarische Teil des Abends, den Radiomoderator Thomas Böhm geschickt leitete, um Gabriela Adameșteanu, Tatiana Țîbuleac und Alexandru Bulucz mit ihren ganz spezifischen Auffassungen der Vergangenheit und Erinnerung in Lesung (TV-Schauspielerin Claudia Michelsen) und Diskussion (Dolmetscher: Șerban Busuioc) zur Sprache zu bringen. Ein zahlreiches Publikum folgte ihnen animiert und aufmerksam bis in den späten Abend, bevor im Kaminzimmer des Literaturhauses ein Kammerkonzert (Alexandra Paladi u. Eleonora Kotlibulatova) die BesucherInnen mit Enescu, Dimitrescu und Brahms entließ. Ein sehr anregender und gelungener Auftakt für das Festval.
Heute vor 33 Jahren
Die Revolution in Rumänien in Tageschroniken
35 Jahre nach dem Aufstand der rumänischen Bevölkerung gegen das diktatorische Regime von Nicolae Ceaușescu und der kommunistischen Partei lassen sich viele der Details des Geschehens genauer beschreiben als in den Jahren zuvor, als
Abb. CC BY-SA 2.5 pl, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1237708
sie vielfach noch nicht präzise eingeordnet werden konnten. Zahlreiche Fotos, Videos, Dokumente, Augenzeugenberichte, Gerichtsprotokolle lassen ein Bild entstehen, das die Vorgänge an der Oberfläche dokumentiert, während entscheidende Fragen nach den politischen Manövern innerhalb der Parteistrukturen, der Armee und der Securitate vor, während und nach der Revolution noch nicht offengelegt wurden. In einigen Fällen sind die Verantwortlichen klar benannt worden, allerdings haben sich daraus oft keine strafrechtlichen Konsequenzen ergeben.
An den Ablauf der Geschehnisse im Dezember soll die folgende Chronik erinnern.
Freitag, 15. Dezember 1989
Der bereits wegen seiner regimekritischen Aussagen (u.a. in ausländischen Radiosendern) aufgefallene Priester der Reformierten Kirche in Temeswar, László Tökés, hatte im Sonntagsgottesdienst am 10.12. seine Gemeinde aufgefordert, am 15. Zeuge bei seiner gegen seinen Willen angeordneten Versetzung in ein isoliertes Dorf bei Sălaj zu sein. Es kommen am frühen Morgen einige Hundert meist ungarischsprachige Gläubige an das überwachte Gebäude der Reformierten Kirche in der strada Timotei Ciparu an der Piața Maria, nicht weit entfernt von der Innenstadt. Securitate-Mitarbeiter in Zivil versuchen, Verhaftungen unter der Menge vorzunehmen, wobei es zu Auseinandersetzungen kommt, die sich aber noch nicht ausbreiten. Nachmittags finden sich weitere Menschen ein, jetzt auch Rumänen aus der baptistischen Gemeinde. Tökés kritisiert das Regime von Parteichef Nicolae Ceaușescu, es wird erstmals das Lied "Deșteapte-te române!" (Erhebe dich, Rumäne) gesungen. Um 20.00 Uhr kommt der Bürgermeister von Temeswar, Petru Moț, um mit Tökés zu verhandeln. Einige Protestierer bleiben über Nacht beim Kirchenamt.
Samstag, 16. Dezember 1989
An der Piața Maria in Temeswar versammeln sich anfangs etwa 300-500 Menschen, um gegen die Evakuierung des Priesters Tökes, aber auch bereits gegen das System von Partei und Staat zu protestieren. Ein Teil der Menge hält Straßenbahnen der Linie Nr. 2 in der Nähe des Gemeindeamtes der Reformierten Kirche an, um mit ihnen unter dem Rufen von Losungen wie "Jos Ceaușescu!", "Libertate" oder "Vrem paine!" (Wir wollen Brot!) in die Innenstadt zu gelangen. In größeren Gruppen marschieren Demonstranten in das Stadtzentrum. Eine Buchhandlung mit Büchern Ceaușescus wird zerstört, auch zahlreiche Schaufenster an der Einkaufsstraße im Zentrum gehen zu Bruch. Die Plakate mit Parteilosungen und Fotos von Ceaușescu werden zerstört. Auf einem ungarischen Radiosender wird über die Demonstrationen berichtet. Tökés bittet die Menge vom Pfarramt aus, die Demonstration aufzulösen und nach Hause zu gehen. In der Innenstadt auf dem Platz zwischen Oper und Kathedrale kommt es zu Konfrontationen mit der Miliz und den Wasserwerfern der Feuerwehr und zu zahlreichen Verhaftungen. Hunderte werden in Gefängnisse eingeliefert. Gruppen von Demonstranten gehen in andere Viertel der Stadt, vor allem solche mit Studentenheimen, um weitere Demonstranten zu animieren, auf die Straße zu gehen.
Nach Mitternacht sperrt Miliz die Straße zur Reformierten Kirche ab und räumt die Piața Maria. Tökés flüchtet sich mit seiner hochschwangeren Ehefrau, einem Schwager und dem Studenten Gazda Arpad in die Kirche, wo sie nachts von der Securitate verhaftet und ins Gefängnis gebracht werden. Der Aufstand scheint niedergeschlagen worden zu sein.
Sonntag, 17. Dezember 1989
Die Auseinandersetzungen in Temeswar zwischen Demonstranten gegen das Regime Ceaușescu und den Ordnungskräften verschärft sich in mehreren Stadtteilen. Panzer und gepanzerte Fahrzeuge sind auf Seiten der Miliz und der Armee im Einsatz. Barrikaden werden gebaut. Unbekannte zerstören systematisch Geschäfte, zünden sie an, ohne dass die Ordnungskräfte einschreiten. Auf Befehl Ceaușecus, den General Vasile Milea umsetzt, wird, vor allem als die Dunkelheit nach 16 Uhr einbricht, scharf in die immer größer werdende Menge geschossen und die ersten Verletzten und Toten unter den Demonstranten sind zu verzeichnen. Auch in die Häuser wird geschossen. Die Einheiten von Securitate, Armee, Miliz, Innenministerium, die an den Schießereien beteiligt sind, sind nicht genau zu verifizieren.
Montag, 18. Dezember 1989
Sânpetru Mare
Foto: Dobrivoie Kerpenisan
/aus Rebels With A Cause, 2019/
Angehörige begeben sich in der gespannten Atmosphäre der Stadt Timișoara in die Spitäler, um ihre Toten zu finden und zu beerdigen. Jede Gruppenbildung auf den Straßen ist verboten, auf Ansammlungen werde sofort geschossen. In den Firmen und Fabriken werden die Fehlenden gezählt. In einzelnen Vierteln wie dem Arbeiterviertel Girocului sind die Straßen übersät mit Gewehrpatronen und weisen auf eine kriegsähnliche Situation hin.
Vor der verschlossenen Kathedrale werden Kinder und Jugendliche, die dort Kerzen aufstellen wollen und Anti-Ceaușescu-Parolen rufen, von der Armee erschossen. 60 Tote und hunderte Verletzte sind das Ergebnis dieses Tages.
In dem Dorf Sânpetru Mare veranlassen Berichte von den Vorgängen in Temeswar eine Menschenmenge zum Marsch auf die Primaria, wo sie Bilder und Bücher von Ceaușescu zerstören.
In der Nacht zum Dienstag wird die "Operațiunea Trandafirul" (Operation Rose) durchgeführt: 40 Leichen werden von der Miliz aus den Krankenhäusern entwendet (einige noch Lebende werden ermordet), in einem Kühlwagen nach Bukarest gebracht, dort in einem Krematorium verbrannt und ihre Asche in einem Graben bei Bukarest verteilt.
Der Staatspräsident Ceaușescu begibt sich ohne Ehefrau Elena zu einem Staatsbesuch in den Iran.
Dienstag, 19. Dezember 1989
Sânpetru Mare
Foto: Dobrivoie Kerpenisan
/aus Rebels With A Cause, 2019/
Es werden zahlreiche weitere Verhaftungen vorgenommen. Die Arbeiter der Firma ELBA (Electrobanat) erklären den Generalstreik. In den Betrieben wird über das weitere Vorgehen diskutiert. Viele Fabriken sind von Ordnungskräften umstellt, um die Arbeiter an Demonstrationen zu hindern. Um 11 Uhr versuchen der erste Sekretär der Partei im Kreis, Radu Bălan, und Bürgermeister Moț, die Arbeiter zum Einstellen der Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen zu bewegen. Bălan scheint bereit, in das Lager der Revolutionäre zu wechseln. General Gușă, ebenfalls in der Fabrik ELBA, ordnet einen Teilrückzug der Armee an. Auf den Straßen dominieren die Ordnungskräfte von Armee, Miliz, Securitate, bei Zusammenstößen sterben 8 Menschen.
Mittwoch, 20. Dezember 1989
Zehntausende, vor allem aus den Betrieben und Fabriken, demonstrieren in Temeswar gegen die Diktatur. Der Platz zwischen der Oper und Kathedrale füllt sich ab 14 Uhr mit Menschen, die aus den Nationalfahnen die Parteizeichen herausgeschnitten haben. Vom Balkon der Oper werden Reden gehalten (die installierten Mikrofone und Lautsprecher waren für eine prokommunistische Kundgebung vorgesehen). Der erste Redner, Ioan Chiș, prägt den Spruch: "Endlich ist die Mămăligă explodiert." Die Menge ruft enthusiasmiert: "Libertate", „Azi în Timişoara, mâine-n toată ţara!” (Heute in Temeswar, morgen im ganzen Land),
Eine große Zahl begibt sich zum Consiliul Județean, wo der Premierminister Constantin Dăscălescu sich aufhält. Eine Abordnung von Revolutionären (Ioan Savu, Corneliu Vaida, Sorin Oprea, Marcu, Boloșoiu, Hanus Sandu, Petrișor u.a.) führt einen Dialog mit dem Premierminister in dem Gebäude und fordert Rückzug der Armee, genaue Aufklärung über die Schießbefehle und die Zahl der Toten, Freilassung der Verhafteten, freie Wahlen, privates Unternehmertum, freie Presse. Die Befreiung der 980 Verhafteten und der Rückzug der Armee in die Kasernen wird erreicht. Vereinzelt werden Verbrüderungen mit der Armee beobachtet.
In der Stadt Lugoj im Banat finden ebenfalls Demonstrationen statt. Es ist die erste Stadt, die dem Beispiel von Temeswar folgt. Zwei junge Protestierer werden gegen 20.00 Uhr aus einer Armeekaserne heraus erschossen, die Parteizentrale geht in Flammen auf, zahlreiche Fensterscheiben von Geschäften werden eingeschlagen.
Um 19 Uhr hält der aus dem Iran zurückgekehrte Ceaușescu eine Rede im Fernsehen, in der er die Vorgänge und die "reaktionären, hooliganistischen, terroristischen Elemente" verurteilt. Der Ausnahmezustand wird über Temeswar verhängt. Aus seiner Heimatregion Oltenien (Craiova) sendet Ceaușescu Arbeiter als Nationalmilizen nach Temeswar, um gegen die Demonstranten vorzugehen. Sie solidarisieren sich aber mit den Aufständischen und verbreiten nach ihrer Rückkehr die Nachrichten über den Aufstand.
Auf dem Platz vor der Oper in Temeswar bleiben etwa 60 Menschen über Nacht.
Donnerstag, 21. Dezember 1989
Auf dem Balkon der Oper in Temeswar verliest Lorin Fortuna morgens eine Proklamation, die einen neu konstituierten Frontul Democratic Român vorstellt und Temeswar zur ersten kommunismusfreien Stadt (oraș liber de comunism) Rumäniens erklärt.
In Arad gehen ab 8.30 Uhr die ArbeiterInnen zahlreicher Betriebe auf die Straße und marschieren in Richtung des zentralen Platzes, wo sich das Parteibüro befindet. Um 12.30 Uhr verspricht die Kreissekretärin der Partei, Elena Pugna, ähnlich wie Ceaușescu in Bukarest, eine Erhöhung der Löhne und der Kinderzulagen, wird aber ausgepfiffen. Am Abend wird unter den Demonstranten nach dem Temeswarer Vorbild ein Komitee mit der Bezeichnung Frontul Democratic Român gebildet mit dem Schauspieler Valentin Voicilă als führendem Mitglied. Der um das Parteigebäude postierte, mit Kriegsmunition bewaffnete Kordon aus Miliz und Militär findet keinen Anlass zum Eingreifen.
In Cluj wird hingegen auf dem zentralen Platz ohne Anlass von der Armee auf Befehl lokaler Offiziere in die Menge geschossen, 26 Menschen sterben, 79 werden verletzt.
In Târgu Mureș/Marosvásárhely wehren sich Arbeiter in den Fabriken gegen die von Ceaușescu vorgeschriebene Interpretation der Ereignisse in Temeswar. Der Parteisekretär der Stadt wird in der Firma IMATEX gezwungen, ein Protestschreiben an den Staatschef abzusenden. Nach konfrontationsreichen, vor allem von Arbeitern aus den Fabriken begonnenen Demonstrationen werden am Abend gegen 21.20 Uhr auf dem zentralen Platz 6 Menschen erschossen, 21 durch Kugeln verletzt, zahlreiche verhaftet und misshandelt.
In Sibiu/Hermannstadt/Nagyvaros wird eine kleine Demonstration von Arbeitern aus der Firma Balana gegen 8.30 Uhr aufgelöst. Kurze Zeit später finden sich zahlreiche Protestierer auf den Straßen, marschieren ins Zentrum, wo sie Bilder und Bücher von Ceaușescu aus Buchhandlungen verbrennen. Ab 10.00 Uhr beginnen auf Anordnung von Kreisparteisekretär Nicu Ceaușescu, Sohn von Nicolae Ceaușescu, Armeeschüler gegen die Protestierer vorzugehen. Sie eröffnen das Feuer und töten 1 Demonstranten, 4 werden verletzt. Daraufhin strömen Tausende in verschiedenen Teilen der Stadt auf die Straßen.
In Bukarest hält Ceaușescu um 12 Uhr eine von TV România übertragene Rede vom Balkon des ZK vor etwa 100000 eilig herbei transportierten Unterstützern der Partei. Während der Rede entsteht Unruhe in der Masse, es sind Knallgeräusche zu hören, es entsteht Bewegung in der Menge. Die TV-Übertragung wird mehrmals unterbrochen, als die Rufe "Timioșara" für kurze Zeit deutlicher durchdringen. Der Conducător reagiert zunächst verunsichert und fahrig, seine Ehefrau Elena neben ihm gibt Anweisungen - die Übertragung wird bald abgebrochen. Ceaușescu kann die Rede allerdings beenden, in der er vor allem finanzielle Versprechungen für Arbeiter, Mütter und Pensionäre macht. Die Ereignisse von Temeswar nennt er einen Angriff auf Unabhängigkeit, Integrität und Souveränität Rumäniens und erinnert an die Situation von 1968, als Rumänien nicht am Einmarsch in die CSSR teilnahm. In der Stadt finden Kämpfe zwischen Ordnungskräften und Demonstranten statt, vor allem an der nahe gelegenen Piaţa Universităţii, die ein erstes Todesopfer fordern. Abends wird dort vor dem Hotel Intercontinental eine Barrikade errichtet. Scharfschützen schießen von den Dächern auf die Demonstranten. In der Nacht sterben hier 49 Aufständische, 500 werden verletzt, Tausende verhaftet.
Cluj 21.12. 1989
Foto: Răzvan Rotta (https://ro.wikibooks.org/wiki/Revolu%C
8%9Bia_Rom%C3%A2n%C4%83_de_la_Cluj_%C3%AEn_imagini)
Sibiu, Casa de Cultură a Sindecatelor
Freitag, 22. Dezember 1989
In Bukarest findet im Gebäude des Zentralkomitees dessen letzte Sitzung statt.
9.00 In Sibiu beginnen Demonstrationen in Richtung Piața Mare und zur Casa de cultură a sindecatelor (Gewerkschaftskultur-haus), wo sich etwa 30000 Menschen versammeln. Unter ihnen konstituiert sich das Demokratische Forum des Kreises Sibiu.
9.55 Uhr Bukarest: Nachrichtensprecher George Marinescu verliest im TVR die Verkündung des Ausnahmezustandes (starea de necesitate) über das ganze Land. Jede öffentliche Gruppenbildung von mehr als 5 Personen ist verboten.
In der gleichen Nachrichtensendung teilt der Sprecher mit, dass Verteidigungsminister General Vasile Milea Selbstmord begangen habe. Milea hatte den Schießbefehl Ceaușescus weitergegeben, blieb aber nicht konsequent bei dieser Haltung. In den Nachrichten wird Milea als "Verräter" bezeichnet, der Gerüchte und Lügen in die Welt gesetzt und mit den "imperialistischen Kreisen" die Aufstände verursacht habe. Während der Nachrichten bewegen sich wie am Vortag große Demonstrationszüge in Bukarest von der Piața Universității Richtung Boulevard Brătianu und Magheru. Hier ist auch Maschinengewehrfeuer zu hören.
11.00 Nach einiger Zeit gelingt es, den DemonstrantInnen, den Platz vor dem ZK zu erreichen und in das Gebäude einzudringen.
11.50 Das TV-Gebäude ist von Protestierern besetzt, das Fernsehen in Televiziunea Română Liberă (TVRL, Freies rumänisches Fernsehen) umbenannt.
12.09 Uhr Nicolae und Elena Ceaușescu fliehen mit einem Hubschrauber vom Dach des ZK-Gebäudes, während sich der Platz mit einer unübersehbaren und enthusiastischen Menschenmenge füllt.
Petre Roman spricht vom Balkon des ZK-Gebäudes zur Menge und erklärt den Sieg der Revolution.
12.55 Im TVRL verkündet Mircea Dinescu aus einer Gruppe von Aktivisten - darunter der Regisseur Sergei Nicolaescu und der Schauspieler Ion Caramitru - in die Live-Kameras: "Am invins! Am invins!" (Wir haben gesiegt.)
General Chițac ruft aus dem Studio die Armee zur Unterstützung der Aufständischen auf.
12.00 In Temeswar werden auf dem Armenfriedhof die Gräber von vorgeblichen Opfern der Ceaușescu-Herrschaft und der Niederschlagung der Revolution geöffnet. Durch die wieder geöffneten Grenzen kann im Ausland der Eindruck erweckt werden, dass die Kämpfe in Temeswar mehrere Tausend Tote forderten. Falschnachrichten, die ihren Weg wieder zurück nach Rumänien finden.
12.00 Sibiu: Aufständische belagern den Sitz der Miliz auf der strada Armata Roșie, Ecke strada Moscovei. Diese hängt ein Transparent an das Gebäude, mit dem Text: "Noi, miliţia, slujim interesele poporului. Suntem cu voi! Fără violenţă! Organizaţi-vă pentru dialog!" (Wir, die Miliz, arbeiten im Interesse das Volkes. Wir sind mit euch. Ohne Gewalt! Organisiert euch für den Dialog.) Die Demonstranten gelangen in das Gebäude, die Miliz flieht zur auf der gleichen Straße benachbarten Armee, von wo aus auf die Milizionäre geschossen wird und 19 sterben. Auf die Menge vor der Casa de Cultură wird ebenfalls geschossen, sie flieht in Panik.
12.30 Nach der Flucht der Ceaușescus kommt es in Sibiu zu weiteren Schießereien zwischen Armee, Securitate und "Terroristen", die über 43 Tote fordern, unter ihnen auch Zivilisten und Demonstranten. Der Sitz der Securitate in Sibiu in unmittelbarer Nachbarschaft zur Armee wird 4 Stunden lang mit unterschiedlichen Waffen angegriffen, bis das Gebäude weitgehend zerstört ist. Hauptverantwortlicher für das Verhalten der Armee ist Leutnant Aurel Dragomir, der dem Kreisparteivorsitzenden Nicu Ceaușescu, Sohn des geflohenen Diktators, nahesteht.
Unentdeckte Scharfschützen belegen immer wieder Straßen mit Gewehrfeuer. Die Armee setzt auch Panzer und Geschütze gegen bestimmte Gebäude ein, die völlig zerstört werden.
Zudem hält sie mehr als 500 Personen in einer Sporthalle und einem leeren Schwimmbad fest, die als "Terroristen" bezeichnet werden. Es kommt bei dieser bis in den Januar dauernden Freiheitsberaubung zu Mißhandlungen und Verletzungen.
Zum blutigen Chaos in Sibiu tragen auch die während der Dauersendung des TVRL in Bukarest verbreiteten Gerüchte wie, dass das Wasser in Sibiu vergiftet sei, ebenso bei, wie die Suggestion einer von der Securitate angegriffenen Armee, die es zu verteidigen gelte. Mehrere Generäle fordern im TV ihre Kollegen auf, das "Gemetzel" zu beenden.
Im besetzten TVRL in Bukarest treten aufgeregte Redner mit Appellen, Informationen, politischen Statements, praktischen Vorschlägen auf. Petre Roman, Silviu Brucan, Mircea Dinescu, Ion Caramitru, mehrere Generäle, Priester, u.a. wirken bis in den Abend auf die Zuschauer ein, der Nachrichtensprecher Marinescu liest nun die Kommuniqués der Revolutionäre in die Kameras.
17.00 Nach einem Treffen mit den wichtigsten Militärs hält der frühere Minister für Jugend, Ion Iliescu, eine Rede vom Balkon des früheren ZK-Gebäudes in der er die Armee zur einzigen Ordnungskraft erklärt. Einige Zeit danach beginnen auf dem Platz Schüsse zu fallen.
Es bestätigen sich Nachrichten, dass das Ehepaar Ceaușescu in einer Dacia bei Târgoviște gefasst worden sei und in einer Armeeeinheit gefangen gehalten werde.
22.00 Im TVRL in Bukarest wird der gefangengenommene Sohn Nicu Ceaușescu, Parteichef von Sibiu, präsentiert.
23.00 Iliescu verliest im TVRL das Manifest des Frontul Național de Salvare, der von der Armee unterstützt werde und alle "gesunden Kräfte" des Landes umfasse. Alle Organisationen der Regierung des Ceaușescu-Clans seien aufgelöst, freie Wahlen für den April 1990 vorgesehen.
Am Abend und in der Nacht auf den 23. Dezember lassen die Attacken auf die Universitätsibliothek und den nun als Nationalmuseum funktionierenden früheren Königspalast nicht nach. Beide Gebäude geraten nach Beschuss durch Panzer in Brand, eine große Zahl wertvoller Gemälde, Tapisserien, Bücher, Handschriften, wird zerstört.
Samstag, 23. Dezember 1989
0.00 In Târgoviște wird die Militäreinheit 01714 angegriffen, in der Nicolae und Elena Ceaușescu gefangen gehalten werden.
In der Nacht brechen in den größeren Städten wie Temeswar, Cluj, Sibiu, Brașov und Bukarest Schießereien aus, deren Ursachen nicht genau auszumachen sind. Allgemein wird von "Terroristen" als Angreifern gesprochen, die skrupellos und ohne erkennbares Motiv auf Zivilisten, Soldaten Securitate, Miliz, in Häuser, Wohnblocks, Krankenhäuser schießen. Bewaffnete und wenig informierte Zivilisten beteiligen sich an den Kämpfen. In Brașov sterben in dieser Nacht 39 Menschen, nachdem die Armee - wie in Sibiu - gegen Vorlage des Personalausweises Waffen an Zivilisten ausgegeben hat. In der Banater Industriestadt Reșița, in der bis dahin die Demonstrationen keine Auseinandersetzungen mit den Ordnungskräften verursacht hatten, beginnen in der Nacht ebenfalls tagelange Gefechte, in deren Verlauf 25 Menschen sterben.
6.30 Bukarest: In 3 Autobussen werden Gendarmen, Armeeschüler und Wehrdienstleistende zum Flughafen Otopeni transportiert, um eventuelle Terrorattacken abzuwehren. Bei ihrer Ankunft werden sie noch in den Bussen aus verschiedenen Richtungen beschossen. In 10 Minuten sterben 22 Insassen, weitere Gefechte fordern am Flughafen das Leben von 15 Menschen. Zunächst wird als Ursache eine mangelhafte Kommunikation zwischen Armee und den Gendarmen vermutet, später eine gezielt geschürte Hysterie wegen möglicher "Terroristen".
Die Kämpfe um das Nationalmuseum und die Bibliothek halten an. Beide Gebäude stehen in Flammen, während sich auf den Straßen die Menschen hinter Panzern verschanzen.
In Sibiu wird weiterhin geschossen: Es herrscht Verwirrung, Chaos, Gerüchte unterschiedlichster Art machen die Runde. Aus den Dachfenstern (den "Augen von Hermannstadt") schießen Unbekannte, es wird wahllos zurückgeschossen, Panzer zerstören Gebäude, in denen "Terroristen" vermutet werden, Helikopter jagen Menschen, Zivilisten werden von Scharfschützen auf den Straßen erschossen, die mit Geschosshülsen übersät sind (nach einer plausiblen Schätzung wurden in den Tagen der Revolution in Sibiu über 2 Millionen Patronen benutzt).
In weiteren Städten kommt es zu weniger gewalttätigen Demonstrationen und Versammlungen.
23.30 Uhr Gegenüber dem Sitz des Verteidigungsministeriums in Bukarest an der Straße Drumul Taberei sind Panzer zur Verteidigung aufgestellt. Die Insassen von auf Befehl des reaktivierten Generals Nicolai Militaru herbeigerufenen leicht gepanzerten Fahrzeugen der U.S.L.A (Unitatea Specială de Luptă Antiteroristă) werden zu "Terroristen" erklärt und zusammengeschossen. Die 8 Toten (unter ihnen lt. col. Gheorghe Trosca, von dem es heißt, er sei an der Enttarnung von Militaru als Agent des KGB beteiligt gewesen) bleiben tagelang auf der Straße liegen, der abgetrennte Kopf von Trosca auf der Motorhaube eines Fahrzeugs ausgestellt. Die Zeitung România Liberă erklärt die Toten zu "Söldnern". Militaru wird zwei Tage später von Iliescu in der von Petre Roman geleiteten ersten postrevolutionären Regierung zum Verteidigungsminister erklärt.
Sonntag, 24. Dezember 1989
Der Consiliul Frontului Salvării Naționale und ein Comandamentul Militar Unic teilen über TVRL und Radio mit, dass "aus militärischer Sicht die Situation in der Hauptstadt und den Kreisen des Landes sich unter Kontrolle befindet. Zu dieser Stunde führen unsere Armee, Einheiten der Miliz und des Inneren Operationen zur raschen Lösung der Probleme, die noch bestehen, aus, um die Nester der Terroristen zu neutralisieren."
An einzelnen Punkten in den großen Städten wird noch geschossen, zugleich finden bereits Aufräumarbeiten statt.
Foto: www.kultro.de
Montag, 25. Dezember 1989
13.20 In der Garnison Târgoviște findet ein außerordentlicher Militärprozess gegen das Ehepaar Ceaușescu statt. Aus Bukarest sind auf Betreiben des Frontul Salvării Naționale (FSN) in mehreren Helikoptern ein Militärstaatsanwalt, Richter, Verteidiger, Schriftführer, Schöffen angereist. Die Anklage gegen Nicolae und Elena Ceaușescu lautet auf Genozid, gewaltsame Zerstörung kommunaler Einrichtungen und Gebäude während der Revolution, Zerstörung der Ökonomie, Deponierung von mehreren Hundert Millionen Dollar auf ausländischen Konten zur Fluchtvorbereitung. Ceaușescu erkennt das "tribunal poporului" (Volksgericht) nicht an.
Das Urteil lautet auf die Todesstrafe durch Erschießen und wird um 14.50 Uhr vollstreckt.
In den nächsten Stunden und Tagen lassen die Kämpfe in den Städten allmählich nach.
Vom 15. Dezember 1989 bis zum 22. Dezember wurden durch die Repression in Rumänien 271 Menschen getötet, vom Nachmittag des 22. Dezember (Flucht Ceaușescus) bis zum 25. Dezember (Hinrichtung) 715, nach dem 25. Dezember 113 (bei 67 Opfern konnte das genaue Todesdatum nicht festgestellt werden). Insgesamt 1166 Tote.
*
29 Jahre nach den Ereignissen erhob auf Basis eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das höchste rumänische Gericht Anklage gegen den früheren Staatspräsidenten Ion Iliescu und 3 weitere Beschuldigte wegen ihrer Rolle bei den Kämpfen gegen "Terroristen" nach dem 22. Dezember 1989.
Privates und Öffentliches
Der Schriftsteller Jan Koneffke und seine ganz private Seite von Bukarest
Abb. Screenshot tvr.ro/youtube.com
Im dritten Beitrag der Reihe "Mein Bukarest" erinnert Jan Koneffke an seine erste Ankunft in der Stadt Anfang der 1990er Jahre, als er an einer Schriftstellerkonferenz teilnahm und Nora Iuga kennenlernte. Aber als er Jahre später wieder in die Metropole an der Dîmbovița kam, war er an die Stadt gefesselt durch die Liebe ...
Private Einsichten und Koneffkes Verbundenheit mit Bukarest führen auch in dieser wieder sehr sehenswerten Folge der Reihe zu anregend-eigensinnigen Schlaglichtern.
https://www.youtube.com/watch?v=bM1Ynd4GWnI&list=PLxO8-C91Lp90Zv2wgnrpbE3yxZnGN9F2Q&index=1
Bukarest de altă dată
Jan Koneffke weist auf die verborgenen Preziosen der rumänischen Hauptstadt hin
Abb. Screenshot tvr.ro/youtube.com
Nur wenige kennen hierzulande Bukarest. Der Ruf der Stadt an der Dâmbovița ist nicht der beste, auch in Rumänien nicht. Dass diese Skepsis oft auf Nichtwissen basiert, möchte der in Bukarest lebende Schriftsteller und Dichter Jan Koneffke ändern. In Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut stellt er in der deutschen Sendung Akzente auf TVR in anschaulichen Miniaturen besondere Gebäude und Geschichten der Millionenstadt vor. Zwei Beiträge sind bisher erschienen und können auf dem Youtube-Kanal von Akzente im Internet angeschaut werden, weitere sind in Vorbereitung.
Die beiden stimmungsvollen Reportagen widmen sich einmal der Casa Storck in der strada Vasile Alecsandri, die mittlerweile zu einem prächtigen Museum renoviert wurde. Hier lebten die Malerin Cecilia Cuțescu-Storck und ihr Ehemann, der Bildhauer Frederic Storck. Koneffke weiß geschickt die Lebensgeschichten der beiden Künstler mit einer Geschichte des Hauses und der damaligen Epoche vor und nach dem Ersten Weltkrieg zu verbinden. Ebenso gilt dies für den Beitrag, der die Orte des Schriftstellers Mihail Sebastian (Iosif Hechter) aufsucht und dessen berühmtes (auch ins Deutsche übersetzte) Tagebuch von den 1930er Jahren bis zu seinem frühen Unfalltod 1945 in der Topographie der Stadt verortet. In den beiden Filmen knüpfen Querverbindungen und Zeitfäden ein faszinierendes Netz von der Geschichte dieser Stadt und ihren Bewohner*innen.
https://www.youtube.com/watch?v=xdluiT6ca5U (casa Storck)
https://www.youtube.com/watch?v=i09buPFYCFE (Mihail Sebastian)
"We love football and
we miss important games"
Fußball in Rumänien
von
Volkmar Hoffmann
Abb: FC Voluntari/©Volkmar Hoffmann
Es war Anfang Oktober 2019, ein Samstag um 11 Uhr in Colentina, einem von chinesischen und arabischen Einwanderern geprägten Stadtteil am Ostrand von Bukarest. Zweitligaspiel zwischen ACS Daco–Getica Bucureşti und FC Dunărea Călăraşi im Stadionul Colentina, das versteckt zwischen in den 1970-ern und '80-er Jahren gebauten acht- bis zehnstöckigen Wohnblöcken liegt. Ein großer, meine siebenbürgische Stiefmutter würde sagen stattlicher Mann um die Fünfzig, mit einer nach allen Seiten ausufernden, weinroten Strickmütze, in dickem Anorak, Schal und Polyestertrainingshose. Vor Spielbeginn hatte er sich einen mitgebrachten Pappkarton auf einen der Hartplastikschalensitze gelegt, seinen Regenschirm und eine Unmenge von gut gefüllten Plastiktüten daneben gelagert, aber gesessen war er kaum. Die meiste Zeit stand er ganz oben, auf einem Sitz in der letzten Reihe, auf Höhe der Mittellinie, in seinen Händen zwei Fahnenstangen mit der rumänischen Flagge, die er aus Halterungen im Stadion gezogen hatte. Er sang lautstark die rumänische Hymne mit und schwenkte dabei ausgiebig die Fahnen. Nach der Einspielung steckte er sie wieder zurück. Einmal, als seine Mannschaft augenscheinlich nicht in die Gänge kam, griff er in eine seiner Tüten und bot einem Daco-Stürmer zur Stärkung eine überreife Banane an. Trotz seiner Lautstärke hatte er nichts Aggressives, er schien vieles eher scherzhaft zu meinen, zumindest amüsierte sich eine jüngere Frau in seiner Nähe köstlich.
Aber warum war sein Anfeuerungsruf Juventus, Juventus, wo der Verein doch Daco–Getica hieß? Einige Tage später, eine Sportsbar im Zentrum von Bukarest. An den Wänden ein paar Fotos und Wimpel der erfolgreichsten rumänischen Clubs, vor allem aber Devotionalien der beiden Mailänder Fußballvereine und von Juventus Turin. Ich hatte mich mit meinem Fußballfreund Radu und seinem Vater getroffen um mehr über den rumänischen Fußball zu erfahren. Die EM – mit vier Spielen in Bukarest – stand vor der Tür, die Chancen, dass Rumänien sich doch noch dafür qualifizieren könnte, gingen gegen Null. Ich wollte wissen, wie das so ist, mit der Begeisterung für so ein Event, wenn das eigene Team nicht beteiligt ist. Aber zuerst mussten sich beide meine Begeisterung über den einsamen, unermüdlichen und witzigen Fahnenschwinger anhören. Did you hear the national anthem at the beginning? Ähm, ja schon – aber das machen die Amis auch. But thats not usual in second league games! Do you know, that this club is known for their use of xenophobic symbols and songs, and that the owner, who is known in Bucharest as the trash king, has spent some time in jail? Nein, hatte ich nicht. Aber dass in Rumänien bereits etliche Manager und Besitzer von Profiklubs wegen Steuerhinter-ziehung, Geldwäsche oder Korruption verurteilt worden waren, wusste ich natürlich.
Drei Spieltage später wurden die bisherigen Ergebnisse von Daco annulliert. Der Präsident – oder war's der Manager, oder der Eigentümer, oder alle drei in Personalunion? – war während eines Spieles in der Halbzeitpause verhaftet worden. Die Spielergehälter konnten nicht mehr gezahlt werden, der Spielbetrieb wurde eingestellt.
Daco–Getica Bucureşti. Im Jahr zuvor erst aus den
Überbleibseln von Juventus Colentina Bukarest gegründet, nachdem diesem Verein nach jahrzehntelanger Duldung von Juventus Turin untersagt worden war, den Namen
sowie Trikotdesign und Vereinslogo weiterhin zu nutzen. Ein Name übrigens, der in Colentina überhaupt keine Geschichte hatte, sondern auf zwei italienische Einwanderer zurückgeht, die in 1924 den
Verein Juventus Bukarest gegründet hatten, der 1952 nach Ploieşti weiterzog und seitdem dort als Petrolul Ploieşti spielt. Ein Einzelfall?